Praxis & Betrieb

Als Leistungserbringer:in behandeln Sie nicht nur Patient:innen, Sie sind gleichzeitig selbstständige:r Unternehmer:in und führen eine Praxis oder ein Unternhemen. Hier stellen wir Ihnen hilfreiche Tipps und Hinweise für eine erfolgreiche Praxisführung und Praxisorganisation zusammen. 

Multimodale Schmerztherapie: Hoffnung durch Teamarbeit

Chronische Schmerzen betreffen Millionen Menschen – und oft ist der Weg zur Linderung lang. Warum ein interdisziplinärer Ansatz so wichtig ist, wie Physiotherapeut:innen helfen können und was Patient:innen wirklich brauchen.

Was chronische Schmerzen bedeuten können, wird spätestens nach dem Lesen einiger Einträge auf der Website krankheitserfahrungen.de klar. Dort teilen Menschen ganz offen ihr persönliches Schmerzschicksal. Da ist beispielsweise Svenja N., die seit ihrem 16. Lebensjahr an starken Kopfschmerzen leidet. Einige Jahre später kamen Rückenschmerzen hinzu. Oder Martin S., der unter postoperativen Schmerzen litt, wodurch sich Fehlhaltungen mit neuen Schmerzen im gesamten Bewegungsapparat entwickelten. Sie sind nur zwei von geschätzt 12 bis 14 Millionen Menschen in Deutschland – etwa 17 Prozent der gesamten Bevölkerung –, die unter chronischen Schmerzen leiden, weltweit sollen es sogar 20 Prozent sein.

Die Behandlung ist oft langwierig und erfordert mehr als eine einzelne Maßnahme. Selten reichen Medikamente allein aus, ebenso wenig wie physikalische Anwendungen oder psychotherapeutische Unterstützung. Es zeigt sich zunehmend, wie wichtig das Zusammenspiel verschiedener therapeutischer Disziplinen ist. So kann Physiotherapie die Beweglichkeit fördern und Verspannungen lösen, während Ergotherapie dabei hilft, den Alltag trotz Schmerzen besser zu bewältigen. Je nach individueller Situation können Logopädie und Podologie das Spektrum erweitern, sei es durch Atemtechniken oder die Korrektur von Haltungsproblemen über die Füße.

Multimodale Therapie gilt als Standard

Nach aktuellem Stand gilt die sogenannte multimodale Schmerztherapie, bei der mehrerer Behandlungsansätze koordiniert kombiniert werden, als vielversprechendster Weg zu einer nachhaltigen Linderung. Sie ist eines der in der S1-Leitlinie „Chronischer nicht-tumorbedingter Schmerz“ empfohlenen Behandlungsprinzipien. Somit können Physiotherapeut:innen eine wichtige Rolle bei der Behandlung chronischer Schmerzen spielen. 

Marion Jager, Physiotherapeutin und Leiterin von Physioteam Jager in Berlin, beschreibt, welche Erfahrungen sie in ihrer Praxis macht. Das Spektrum der Beschwerden und Diagnosen rund um das Thema Schmerzen, mit denen sie konfrontiert wird, ist breit gefächert: „Neben Fibromyalgie und CRPS (ehemals Morbus Sudeck) sind chronische Rückenschmerzen, vor allem im Lendenwirbelsäulen- (LWS) und Zervikalbereich, besonders häufig. Auch Patienten mit Arthrose sind zahlreich vertreten. Häufig sehen wir auch die Diagnose ‚chronisches Schmerzsyndrom‘, wenn die Schmerzursache nicht mehr eindeutig lokalisierbar ist“, erklärt Jager.

Zum Einstieg: Linderung und Vertrauen

Der Therapieeinstieg erfolgt häufig mit passiven Maßnahmen wie Wärme- oder Kältetherapie oder manuellen Behandlungen. „Manche Patienten brauchen erst einmal das Gefühl, dass sich ihre Beschwerden lindern.“ Anschließend wird langsam wieder Bewegung im schmerzfreien Bereich aufgebaut. „Ich will dem Patienten zeigen: Schau, du kannst dich bewegen, und es tut nicht weh.“ Ebenso wichtig ist es, sogenannte Nocebo-Effekte abzubauen: „Viele denken, sie dürfen sich nicht mehr bücken oder etwas heben – das stimmt so nicht mehr.“

Das Ziel ist, dass Patient:innen Eigenverantwortung übernehmen: „Ich kann deine Schmerzen nicht einfach wegmachen. Ich zeige dir nur, wie du selbst etwas dagegen tun kannst.“ Eine Maßnahme allein bringe selten Erfolg, ist sie überzeugt. Neben der Physiotherapie müssten auch Ärzt:innen, Ergotherapeut:innen, Psycholog:innen und Schmerzmediziner:innen eingebunden sein. Ideal wären interdisziplinäre Zentren, in denen sich alle Beteiligten direkt austauschen können, statt dass Patient:innen einzeln Praxen aufsuchen.

Entscheidend ist das eigene Netzwerk

Auch Jordan Thomas Übach, Inhaber des Unternehmens Beweglichmacher in Köln und Umgebung, beobachtet einen Anstieg chronischer Schmerzfälle, insbesondere im Bereich der Wirbelsäule. Für ihn ist klar: „Chronische Schmerzen kann man nur interdisziplinär behandeln.“ Physiotherapie, Osteopathie, ärztliche Betreuung, Ernährung und psychologische Hilfe müssten dabei ineinandergreifen. „In unseren Praxen haben wir uns ein gutes Netzwerk aufgebaut.. Der Austausch funktioniert super – das merken auch die Patienten“, sagt er. Leider sei das noch nicht die Regel: „Eine flächendeckende Umsetzung würde die Versorgung deutlich verbessern.“

Bei chronischen Schmerzpatienten ist ihm ein realistisches Erwartungsmanagement wichtig. Viele kämen mit der Hoffnung, nach wenigen Behandlungen schmerzfrei zu sein, doch diese Erwartung werde oft enttäuscht. „Ein Physiotherapeut ist nicht nur jemand, der behandelt, sondern auch mental unterstützt“, sagt er. Entscheidend sei, zuzuhören, individuell einzugehen und gemeinsam ein passendes Konzept aus Therapie, Training und Alltagsanpassung zu entwickeln. „Gerade langjährige Schmerzpatienten sind oft schon für kleine Verbesserungen dankbar, selbst wenn die Erleichterung nur ein paar Stunden anhält“, erklärt er. Schwieriger sei es bei Menschen, bei denen sich die Beschwerden gerade erst chronifizieren. „Da braucht es viel Aufklärung und enge Begleitung.“ Das sei zwar herausfordernd, „aber genau das macht unseren Beruf aus“.

Hoffnung durch Ganzheitlichkeit

Mag der Kampf gegen den Schmerz auch aussichtslos erscheinen, ein Weg zu mehr Lebensqualität ist möglich. Oft ist die Voraussetzung dafür, dass Patientinnen und Patienten nicht nur auf einzelne Behandlungsformen setzen, sondern in ein ganzheitliches Konzept eingebunden werden. Dabei sind neben der fachlichen Kompetenz auch ein wertschätzender Umgang und das Vertrauen in den Prozess entscheidend. Denn wer chronische Schmerzen behandelt, muss vor allem eines: zuhören.

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