Ein Rechtlicher Blick auf die Blankoverordnung: Chancen und Risiken

Mit der Blankoverordnung gibt es nun erstmals einen weit aufgespannten rechtlichen Rahmen für selbstständigere therapeutische Entscheidungen von Ergotherapeut:innen. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Dr. Thomas Ruppel erläutert die Hintergründe.

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Und sie bewegt sich doch: Manchmal gibt es Entwicklungen im Gesundheitswesen, die doch positiv überraschen. Der Ergotherapie gelingt als ersten Heilmittelerbringenden ein weiteres Stück Emanzipation. Mit der Blankoverordnung gibt es nun erstmals einen weit aufgespannten rechtlichen Rahmen, in dem Ergotherapeut:innen  (zumindest in bestimmten Diagnosegruppen) therapeutische Entscheidungen noch selbstständiger treffen können. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Dr. Thomas Ruppel erläutert die Hintergründe:

Bekanntlich erbringen Heilmittelerbringende keine delegierten ärztlichen Leistungen, sondern sind eigenverantwortliche Leistungserbringende. Im deutschen Gesundheitssystem setzt dies aber die ärztliche Verordnung des Heilmittels voraus. Hieran ändert sich auch mit der Blankoverordnung nichts. Aber in den drei Diagnosegruppen SB1, PS3 und PS4 dürfen - sofern der Vertragsarzt bzw. -ärztin dies gestattet - Ergotherapeut:innen in Zukunft selbst entscheiden, welches Heilmittel sie in welcher Anzahl und welcher Frequenz abgeben.

Diese neue, wenn auch partielle, Freiheit stärkt die Ergotherapie und wird den fachlichen Kompetenzen der Ergotherapeut:innen gerecht. Diese wissen schlicht häufig besser, welches Heilmittel beim Patient:innen sinnvoll ist. Die neue Freiheit bringt aber neue Verantwortung mit sich. Denn der ärztliche Verordnungsvorbehalt hat für Heilmittelerbringende auch etwas sehr Bequemes: Der Vertragsarzt bzw. -ärztin haftet bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen mit seinem Privatvermögen für aus Sicht der Krankenkassen festgestellte unwirtschaftliche Verordnungsweisen - etwa wenn die Krankenkassen meinen, das ein falsches Heilmittel verordnet wurde, der Hausbesuch unnötig war oder die Menge zu viel des Guten war. Mit alldem mussten sich Heilmittelerbringende nicht herumärgern, wenn sie sich an die Verordnung hielten.

In der neuen Welt der Blankoverordnungen trifft dieses Absetzungsrisiko nun die Ergotherapeut:innen - diese unterliegen zukünftig bei allen Aspekten, die sie selbst bestimmen dürfen (Art des Heilmittels, Menge, Frequenz) selbst und mit ihrem Vermögen (also das der Praxisinhaber) der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Hier müssen Ergotherapeut:innen also ganz besonders darauf achten, das Wirtschaftlichkeitsgebot einzuhalten. Es darf also leider nicht die beste Versorgung für den Patient:innen erfolgen, sondern nur eine geeignete, von mehreren geeigneten die preiswerteste und geringste Versorgung (§ 12 SGB V).

Eine gewisse Sicherheit gibt damit das Ampelmodell, welches in Anlage 1 des Vertrages nach § 125a SGB V aufgenommen wurde. Diese gibt Therapeut:innen zumindest für die Zeitintervalle eine gewisse Orientierung (alles andere müssen Therapeut:innen eigenverantwortlich entscheiden und ggf. dafür geradestehen): Bei bis zu 128 (SB 1) bzw. 176 (PS3/PS4) Zeitintervallen im 16-Wochen-Zeitraum der Blankoverordnung müssen sich Therapeut:innen gar keine Sorgen machen. Bei darüberhinausgehenden Zeitintervallen (bis 176 bei SB 1 bzw. 200 bei PS3/PS4) schaltet die Ampel auf "gelb" - Therapeut:innen dürfen diese Leistungen erbringen, sollten sie jedoch gegenüber den Krankenkassen begründen können. Hier kommt das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V wieder zum Tragen: Sie müssen begründen können, weshalb diese hohe Anzahl an Zeitintervallen notwendig war. Werden die Zeitintervalle der gelben Phase überschritten (ab 177 bei SB 1/201 bei PS3/PS4) schaltet die Ampel auf "rot" - die Leistungen werden kraft Gesetzes für unwirtschaftlich erachtet und mit einem pauschalen Abschlag von 9 Prozent bedacht - aber immerhin überhaupt noch vergütet. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass die Kassen bei Therapeut:innen, die in die gelbe oder rote Phase kommen, genauer prüfen werden. Gleichwohl ist diese Regelung recht fair, denn an sich werden ja unwirtschaftliche Leistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung gar nicht vergütet.

Die Blankoverordnung gilt 16 Wochen: Wie auch bisher sollte bei Ablaufen einer Verordnung der Patient oder die Patientin zum Vertragsarzt bzw. -ärztin geschickt werden, um eine neue Verordnung zu holen. Schummeleien mit dem Zeitpunkt der Leistungserbringung können hier viel Ärger auslösen. Denn die Fehlverhaltensstellen der Krankenkassen befragen gerne Patient:innen, wann sie bei welchem Therapeut:innen waren und gleichen dies mit dem eingereichten Rezept ab - da fallen Unterschiede schnell auf. Ermitteln gar Staatsanwälte wegen dieses mutmaßlichen Abrechnungsbetruges, beschlagnahmen diese Kalender und Arbeitszeiterfassungen und merken schnell, ob Therapeut:in und Patient:in wirklich wie angegeben zusammengefunden hatten. Ein Ärger, der sich nicht lohnt.

Fazit: Die neue Blankoverordnung ist ein wichtiger Baustein in ein anderes Rollenverständnis der Heilmittelebringenden. Die finanzielle Verantwortung wechselt aber insoweit von Vertragsarzt bzw. -ärztin zum Therapierenden, der sicherstellen muss, dass er seine Patient:innen immer wirtschaftlich behandelt. Zumindest bei den Zeitintervallen hilft das neue Ampelmodell.


Rechtsanwalt Dr. Dr. Thomas Ruppel und sein Team beraten bundesweit Heilmittelerbringende in allen rechtlichen Fragen.

Telefon: 0451 / 29 366 500
kanzlei@gesundheitsrecht.de
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