Freelancer: Freiheit mit Fallstricken

Freie Mitarbeit kann für Praxisinhaber:innen und für Therapeut:innen eine Win-win-Situation sein. Doch das Modell hat seine Tücken.

Therapeutin behandelt den Nacken einer Seniorin

Boris Vojvodic setzt auf freie Mitarbeiter:innen. In Kontakt mit dem Modell „Freelancer“ kam der Praxisinhaber aus Reutlingen, als er im Sommer eine weitere Einrichtung in Tübingen übernahm. In dieser hatte man schon seit Jahren gute Erfahrungen damit gemacht, dass neben den Festangestellten auch Freie zum Einsatz kamen. Und nach dem Prinzip „never change a running system“ hält Vojvodic jetzt an ihnen fest. „Ich verdiene an ihnen zwar weniger als an festangestellten Mitarbeiter:innen“, so der Physiotherapeut, „dafür zahle ich für sie aber auch keine Sozialabgaben, und sie arbeiten vollkommen selbstständig.“

Die meisten Praxisinhaber:innen setzen freie Mitarbeiter:innen für bestimmte Aufgaben ein, etwa für Hausbesuche. Oder eben zur Überbrückung, wenn jemand zum Beispiel krankheitsbedingt ausfällt. Für dieses Modell spricht vor allem, dass es sich bei den Freien in der Regel um sehr erfahrene Kräfte handelt, die nicht erst angelernt werden müssen, sondern direkt loslegen können. Dass der Einsatz von Freelancern weniger lukrativ ist, wird dabei gern in Kauf genommen: Besser die Versorgung der Patient:innen gewährleisten, als Termine absagen zu müssen.

Nicht zuletzt der höhere Verdienst der Therapeut:innen ist es, der die Freiberuflichkeit für diese attraktiv macht. „Ich verdiene halbtags genauso viel, wie Festangestellte mit einer Vollzeitstelle“, schwärmt Christin Mackeldey. Die Leipziger Physiotherapeutin ist so überzeugt von dem Modell, dass sie als zweites Standbein ihrer Selbstständigkeit andere Kolleg:innen diesbezüglich berät und coacht (www.freierphysio.de). Sie betont zwar, dass es natürlich immer eine individuelle Frage sei, ob man diesen Weg wirklich gehen wolle und ob er zu einem passe, unter dem Strich sei es jedoch „soooo toll, selbstständig zu sein“.

Da würde ihr Alexandra Walz gar nicht widersprechen. Die Physiotherapeutin aus Stuttgart schätzt an ihrer Selbstständigkeit neben dem höheren Verdienst vor allem die damit verbundene Freiheit und Unabhängigkeit. Die hätte sie zwar auch mit einer eigenen Praxis, damit verbunden wären aber deutlich mehr Kosten, Stress und Risiko. Wenn Walz dennoch nicht
ganz so euphorisch klingt wie ihre Leipziger Kollegin, liegt das daran, dass sie auch immer wieder die Schattenseiten des Modells „Freelancer“ zu spüren bekommt:

Vor einigen Jahren übernahm Walz von ihrem Vater ein Netzwerk, in dem rund 30 freiberufliche Therapeut:innen aus ganz Deutschland zusammenarbeiteten (www.mobile-physios.de). Heute sind es noch fünf, die Walz über ihre Website vermitteln kann – und dabei sind sie selbst und ihr Vater bereits mitgezählt. Zum einen hat der Rückgang damit zu tun, dass der Fachkräftemangel sich auch hier bemerkbar macht, zum anderen sind es aber die rechtlichen Bedingungen, die den Freien das Leben seit einiger Zeit schwer machen. „Der Vorwurf der Scheinselbstständigkeit schwebt wie ein Damoklesschwert über allen Freelancern“, so Walz.

Ob ein:e Therapeut:in als selbstständig anerkannt wird, bestimmt nämlich die Deutsche Rentenversicherung. Und eine Zeit lang entschied diese grundsätzlich gegen die Freelancer. Der Grund dafür war ein Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts aus dem Jahr 2014, nach dem alle Physiotherapeut:innen der Rentenversicherungspflicht unterliegen. Diesem Beschluss wurde zwar in den vergangenen Jahren in unzähligen Entscheidungen und sogar höchstinstanzlich vom Bundessozialgericht widersprochen, dennoch müssen betroffene Therapeut:innen immer wieder vor Gericht ziehen, um ihr Recht zu erstreiten.

Sorgenfaktor Scheinselbstständigkeit

Wer als freie:r Mitarbeiter:in anerkannt werden will, muss daher unbedingt den Eindruck der Scheinselbstständigkeit vermeiden (siehe Info-Box). Doch selbst wer alles „richtig“ macht und alle relevanten Punkte beachtet, ist nicht zwangsläufig auf der sicheren Seite: „Aus der Erfahrung mit 14 Fällen vor Gericht weiß ich, dass sich die Deutsche Rentenversicherung weder für diese Punkte interessiert noch dafür, wie die Selbstständigkeit konkret gelebt wird.“ Oft würde eben einfach nur aus Prinzip die Selbstständigkeit der Therapeut:innen abgelehnt – wider besseren Wissens.

Doch nicht nur die Deutsche Rentenversicherung, auch Vertreter:innen von Verbänden der Physio- und Ergotherapie sowie der Logopädie sehen eine freie Mitarbeit in den Praxen häufig ziemlich skeptisch. Strittig ist dabei die Frage, wer bei einem Schadensfall verantwortlich gemacht werden kann. Christin Mackeldey und Alexandra Walz sehen die Haftung bei den freien Mitarbeiter:innen, die schließlich selbstständig seien. Doch das scheint keineswegs so eindeutig zu sein. So weist Diethild Remmert, Vorsitzende von Logo Deutschland, auf Nachfrage darauf hin, dass aufgrund der Vertragslage mit den Krankenkassen grundsätzlich die Praxisinhaber:innen die inhaltliche Verantwortung für die Leistungserbringung trügen. Und ins gleiche Horn stößt Bettina Simon, Vorstandsmitglied vom Deutschen Verband Ergotherapie. Auch sie sagt, dass Praxisinhaber:innen laut Vertrag für alle eingesetzten Leistungserbringer:innen haften würden. Und dies wären auch freie Mitarbeiter:innen, die aber im Gegensatz zu den festangestellten eben nicht weisungsgebunden seien. „Das passt nicht zusammen. Das ist ein Widerspruch, der sich nicht auflösen lässt“, meint Simon. Das Damoklesschwert könnte daher im Zweifelsfall sowohl über Therapeut:innen als auch über Praxisinhaber:innen schweben.


Wer ist frei?

Wer als Freelancer anerkannt werden möchte und sich nicht dem Vorwurf der Scheinselbstständigkeit aussetzen möchte, sollte...

  • mehrere Auftraggeber haben und nicht nur für eine Praxis arbeiten.
  • nicht weisungsgebunden arbeiten: Der oder die Praxisinhaber:in ist „nur“ Auftraggeber:in, nicht aber Chef:in!
  • eine eigene Terminplanungmachen, Termine also selbst verlegen, absagen und vereinbaren können.
  • die Tätigkeit mit entsprechenden Rechnungen und Verträge nachweisen können.
  • einen eigene Außendarstellung haben, also zum Beispiel eine Website oder einen Flyer, zumindest aber eine eigene Visitenkarte.
  • eine eigene Berufsbekleidung tragen und nicht im Corporate Design der auftraggebenden Praxis arbeiten.
  • nur für geleistete Arbeit bezahlt werden, nicht aber bei Urlaub, Krankheit oder Terminabsagen.
  • eine eigene Berufshaftpflichtversicherung haben
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