Digitalisierung jetzt! DVE-Vorständin Bettina Simon über drängende Themen der Digitalisierung

Selbst wenn es bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens immer wieder zu Verzögerungen kommt, sollte man damit in der eigenen Praxis nicht länger warten – rät Bettina Simon, Vorstandsmitglied beim Deutschen Verband Ergotherapie (DVE).

Bettina Simon

Frau Simon, gerade wurde verkündet, dass bis Anfang 2024 endlich E-Rezepte für Patient:innen in allen Arztpraxen zu haben sein sollen. Und auch mit der elektronischen Patientenakte (ePA) soll es nun vorangehen, indem künftig aktiv widersprechen muss, wer keine solche Akte haben möchte. Ist das die „Aufholjagd“ von der Gesundheitsminister Karl Lauterbach gesprochen hat?

Das ist zu hoffen. Eine solche Aufholjagd ist nämlich dringend nötig. Denn das, was durch Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn in Sachen Telematikinfrastruktur (TI) und Digitalisierung gestartet wurde, ist leider nach dem Regierungswechsel erst einmal nicht im gleichen Tempo weitergeführt worden, und ich fürchte, dass die Fristen, die noch unter Spahn gesetzt wurden, kaum mehr zu halten sind.

Aber haben die neuen Beschlüsse überhaupt etwas mit Heilmittelerbringer:innen zu tun?

Durchaus! Gerade die ePA ist für uns natürlich sehr interessant, weil wir ja – sofern die Patient:innen einwilligen – die Möglichkeit haben werden, nicht nur die Akte einzusehen, sondern auch darin etwas abzulegen. Das ist ein Meilenstein für eine moderne, sektorübergreifende Patientenversorgung. Und auch die Einführung des elektronischen Rezepts ist für uns wichtig, ist sie doch so etwas wie eine Blaupause für das, was dann mit der elektronischen Verordnung für uns folgen wird.

Aber taugt diese „never ending story“ tatsächlich als Blaupause?

Die Einführung des elektronischen Rezepts war sicherlich – ich sage es mal vorsichtig – etwas „holprig“, was nicht zuletzt auch an der Ärzteschaft lag, die sich damit doch sehr schwertat. Ich fürchte, so ganz reibungslos wird das allerdings bei uns ebenfalls nicht vonstatten gehen. Aber es bleibt natürlich zu hoffen, dass aus den Fehlern gelernt wurde. Und alles steht und fällt damit, dass alle Praxen rechtzeitig an die TI angeschlossen sind und die Technik steht.

Die Teilnahme ist für alle verpflichtend. Die Frage ist allerdings: Wann können die Heilmittelerbringer:innen dieser Pflicht überhaupt nachkommen?

Zunächst einmal müssen alle Therapeut:innen mit einem Heilberufsausweis ausgestattet werden, mit dem man sich dann authentifizieren kann. Das elektronische Gesundheitsberuferegister in Münster ist derzeit damit beschäftigt, die Ausweise an Pflegefachberufe, Hebammen und Physiotherapeut:innen auszugeben. Ab nächstem Jahr soll das dann eigentlich auch für Ergotherapeut:innen und Logopäd:innen möglich sein. Ob dieser Termin zu halten ist, kann ich allerdings noch nicht absehen. Denn eben haben wir erst erfahren, dass die Einführung der elektronischen Heilmittelverordnung voraussichtlich auch schon wieder verschoben werden soll und zwar auf den 1. Januar 2027. Spätestens dann sind wir alle allerdings tatsächlich verpflichtet, uns an die TI anzuschließen.

„Gerade die ePA ist für uns natürlich sehr interessant, weil wir ja – sofern die Patient:innen einwilligen – die Möglichkeit haben werden, nicht nur die Akte einzusehen, sondern auch etwas darin abzulegen. Das ist ein Meilenstein für eine moderne, sektorübergreifende Patientenversorgung.“

Bettina Simon, DVE

„Pflicht“ klingt ein bisschen nach „lästiger Pflicht“, dabei befürwortet Ihr Verband die TI. Was sind denn aus Ihrer Sicht die Vorteile?

Da gibt es ganz viele! Auf die ePA bin ich ja bereits eingegangen. Aber auch von der elektronischen Heilmittelverordnung versprechen wir uns viel. Vor allem, dass sie deutlich fehlerfreier sein wird als eine noch per Hand ausgestellte Verordnung. Und selbst wenn doch noch ein Fehler auftaucht, wird dieser künftig – so unsere Erwartung – ganz einfach elektronisch korrigiert werden können. Das wird eine erhebliche Arbeitserleichterung sein.

Und dann gibt es noch den großen Vorteil der Daten- und Informationssicherheit.

Richtig! Und eben nicht nur durch das Netzwerk, das uns die TI durch die ePA bietet, sondern auch durch die sichere Kommunikation mit TIM und KIM: Ersteres ist der TI-Messengerdienst, der eine sichere Chat-Kommunikation gewährleistet und letzteres ist ein E-Mail-Verfahren, mit dem Dokumente, wie beispielsweise Berichte an die Ärzt:innen, sicher verschickt werden können. Nicht zuletzt durch solche Tools sehen wir einen echten Benefit auch für uns Heilmittelerbringer:innen.

Wie digital affin sind denn Ihre Mitglieder schon und wie viel Überzeugungsarbeit müssen Sie im eigenen Verband noch leisten?

Wir haben 2022 eine Umfrage unter den niedergelassenen Ergotherapeut:innen durchgeführt und dabei herausgefunden, dass jede fünfte Praxis noch gar keine Praxissoftware nutzt und komplett papierbasiert arbeitet. Diese Praxen werden es natürlich extrem schwer haben, wenn die TI dann kommt und sie zuvor überhaupt noch keine Erfahrung mit der Digitalisierung hatten.

Das heißt, diesen Praxen empfehlen Sie, jetzt schon in die Digitalisierung einzusteigen, um dann nicht bei Null anzufangen?

Unbedingt! Denn man kann kaum darauf hoffen, dass alles gleich funktioniert, wenn man von heute auf morgen die Arbeitsweise komplett umstellen muss. Aber auch jene Praxen, die bereits mit einer Praxissoftware arbeiten, sollten überlegen, ob sie nicht die Zeit nutzen und ihren Workflow weiter digitalisieren sollten. Die allermeisten nutzen ihre Praxissoftware nämlich nur für die Patientenverwaltung und für die Terminierung. Nur ein kleiner Teil nimmt sie auch für die Abrechnung.

„Die meisten Praxisinhaber:innen wissen den Service, den ein Abrechnungszentrum bietet, sehr zu schätzen. Sie wollen nun einmal nicht die ganze Arbeit und die ganze Verantwortung übernehmen.“

Bettina Simon, DVE

Sie meinen die Selbstabrechnung?

Nein, das machen aus gutem Grund nur die allerwenigsten Praxen. Die meisten Praxisinhaber:innen wissen den Service, den ein Abrechungsdienstleistungszentrum bietet, sehr zu schätzen. Sie wollen nun einmal nicht die ganze Arbeit und die ganze Verantwortung selbst übernehmen. Allerdings wird genau der gleiche Service auch geboten, wenn der Workflow digitalisiert wird.

Ihr Appell richtet sich also nicht nur an die komplett analog aufgestellten Praxen, sondern auch an jene, die von den heute schon bestehenden Möglichkeiten der Digitalisierung noch nicht richtig Gebrauch machen?

Richtig, denn sowohl die einen als auch die anderen sollten unseres Erachtens die Zeit nutzen, um den Umgang mit digitalen Medien zu trainieren. Es gibt bereits internetfähige, TI-kompatible Praxissoftware, mit der man vieles von dem, was dann ab 2027 verpflichtend ist, bereits jetzt machen kann. Natürlich ist so eine Umstellung immer ein bisschen Überwindung, die vielleicht auch mit Angst verbunden ist – gerade wenn doch alles auch so bisher irgendwie geklappt hat. Aber diese Zeit wird nun einmal bald vorbei sein. Dann wird es die Option „Papier“ nicht mehr geben! 

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