Künstliche Intelligenz in der Therapie: Mensch trifft Maschine

Künstliche Intelligenz betrifft mittlerweile auch die Therapie. In dem Feld wird bereits erstaunliche Pionierarbeit geleistet.

Telematikinfrastruktur - „Den Nutzen halte ich für sehr groß“

Künstliche Intelligenz, kurz: KI, das klang noch bis vor Kurzem nach ferner Science-Fiction. Spätestens durch den Bot ChatGPT ist KI jedoch in aller Munde (bei Wissenswert finden Sie auch ein Interview mit ChatGPT). Auch für Heilmittelerbringer:innen wird allmählich deutlich, wohin die Entwicklung gehen kann – und wohl auch gehen wird.

Zu beobachten ist das am Fraunhofer Institut für Medizintechnik auf dem Lübecker Uni-Campus: Im Mittelpunkt der dortigen Forschung steht die KI-unterstützte Bewegungsdiagnostik und Therapieoptimierung. Dafür wurden im September 2022 zwei neue KI-Reha-Labore eingerichtet. Mithilfe zahlreicher Sensoren und Kameras wollen dort die Forscher:innen Bewegungsabläufe, insbesondere den Gang von Patient:innen, genau analysieren. Eines der Labore verfügt dazu über ein Perturbationslaufband, das zweite wurde mit einem dreidimensionalen Seilroboter zur Körpergewichtsentlastung ausgestattet. Beide Systeme interagieren in einer virtuellen Realität und machen die automatisierte Bewegungserfassung mittels spezieller Kamerasysteme möglich. Daraus abgeleitete, digitale Figurenmodelle können anschließend von der KI ausgewertet und analysiert werden.

„Die Labore ermöglichen eine völlig neue Kombination der Analyse von Bewegungen als Grundlage für effiziente Therapieansätze“, schwärmt Prof. Dr. Kerstin Lüdtke, Professorin für Physiotherapie an der Universität zu Lübeck und Co-Leiterin der Labore. Sie warnt allerdings auch davor, vorschnell Rückschlüsse zu ziehen. Zurzeit ginge es erst einmal darum, die KI zu trainieren, sodass sie auch tatsächlich mit ihren Sensoren bestimmte Bewegungsmuster erkennen kann. „Daraus ergibt sich noch kein direkter Benefit für die Physiotherapie“, erklärt Lüdtke, „dieser wird erst dann entstehen, wenn die trainierten KI-Systeme auch Feedback geben können.“ Langfristig ist sie jedoch davon überzeugt, dass KI die Physiotherapie gehörig verändern wird. „Ein Beispiel könnten intelligente App-Systeme sein, mit denen Übungen an die Tagesform und den Trainingszustand von Patient:innen angepasst werden und bei denen Physiotherapeut:innen nur noch steuern, überwachen und motivieren, aber eben nicht mehr Übungen anleiten.“

68 Prozent der Unternehmen in Deutschland halten KI für die wichtigste Zukunftstechnologie.

Quelle: Bitkom e.V.

Ähnliche Entwicklungen wie in der Physiotherapie gibt es in der Ergotherapie sowie in der Logopädie: So beschäftigt sich zum Beispiel das Zentrum für Künstliche Intelligenz der Dualen Hochschule Baden-Württemberg mit der Konzeption von Supportsystemen für computergestützte Ergotherapie. Und an der Leibniz Universität Hannover läuft aktuell das interdisziplinäre TALC-Projekt (Tools for Analyzing Language and Communication) zur Erforschung der vollständigen Automatisierung von Spontansprachanalysen. Dessen Verantwortliche schreiben unter anderem: „Den Wert menschlicher Beziehungen, Erfahrung und Wahrnehmung in Diagnostik und Therapie kann kein Computerprogramm ersetzen. Gleichwohl eröffnen sich uns durch einen progressiven Umgang mit KI Möglichkeiten, um die Versorgung unserer Patient:innen zu verbessern.“

Während an den Hochschulen noch geforscht wird, preschen andere voran. So hat Physiotherapeut Alexander Srokovskyi aus Baden-Baden ein KI-Produkt entwickelt, das Check-ups zur Dokumentation und maßgeschneiderte Trainingsplanung ermöglicht. Vor allem jedoch kommt es ohne kostspielige Sensorik oder Robotik aus; das Einzige, was man braucht, ist ein Smartphone oder ein Tablet. Mit diesem macht die Sprechstundenhilfe drei Fotos der Patient:innen – im Stehen, im Sitzen und von der Seite. Die Künstliche Intelligenz erkennt laut Srokovskyi anhand der Bilder sogar kleinste, für Schmerzen verantwortliche Asymmetrien, die sich mit einem gezielten Behandlungsplan leicht beheben ließen. Und selbst für den Behandlungsplan liefert die KI die zu machenden Übungen in Sekundenschnelle gleich mit. Aber auch Praxisinhaber Srokovskyi hebt hervor: „Der Mensch ist in der Therapie nie zu ersetzen, weil er für die Kommunikation mit den Patient:innen gebraucht wird.“ Denn nur er sei in der Lage, die Compliance herzustellen und für die nötige Motivation zu sorgen, ohne die eine Therapie nie erfolgreich sein könnte. Dieser „hybride Ansatz“, wie er ihn nennt, also die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, sei es, der die Physiotherapie vielleicht tatsächlich revolutionieren könnte.

71 Prozent der Unternehmen, die KI bereits einsetzen, sehen die größten Vorteile in der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.

Quelle: Bitkom e.V.

Eine ähnliche Erfahrung machte das 2015 gegründete portugiesische Tele-Physiotherapie-Start-up Sword Health. Das Unternehmen überzeugte seinerzeit zwar mit einer technischen Lösung, konnte diese jedoch nicht verkaufen. Erst als das Unternehmen menschliche Physiotherapeut:innen einstellte, ging die Rechnung auf: Mit Hilfe der KI-Technologie kann mittlerweile ein:e Sword-Therapeut:in zeitgleich bis zu 200 Patient:innen zu Hause betreuen. Mit diesem Geschäftsmodell wurde Sword Health, inzwischen in New York ansässig, zum weltweit größten Anbieter virtueller Physiotherapie.

Von einer solchen Erfolgsgeschichte ist Physiotherapeut Alexander Srokovskyi natürlich noch etwas entfernt. Einen ersten Schritt hat er allerdings auch schon gemacht, um seine Technologie in die Breite zu bringen. Seit Kurzem vertreibt er sie auch als App unter dem Namen PhysioScan – und berichtet bereits von drei Partner-Praxen, die sie derzeit auf Herz und Nieren prüften.


Möglicher Einsatz von KI in der Therapie

  • Personalisierte Therapie: 
    KI kann Patientendaten analysieren, um individuelle Übungspläne zu erstellen, die den spezifischen Bedürfnissen und Fähigkeiten aller Patient:innen gerecht werden.
     
  • Bewegungsanalyse: 
    KI kann Bewegungsdaten in Echtzeit verarbeiten und therapeutische Übungen überwachen, um sicherzustellen, dass sie korrekt und effektiv ausgeführt werden.
     
  • Diagnoseunterstützung: 
    Durch die Analyse von Patientendaten und Bildern sowie anderer Quellen kann KI dazu beitragen, Probleme schnell zu erkennen und die Behandlung zu optimieren.
     
  • Fortschrittsüberwachung: 
    KI kann Fortschritte überwachen und den Therapieplan entsprechend anpassen, um sicherzustellen, dass bestmögliche Ergebnisse erzielt werden.
     
  • Datenanalyse: 
    Die Verarbeitung großer Datenmengen kann dazu beitragen, Muster und Trends zu erkennen, die die Entwicklung von effektiveren Therapieansätzen ermöglichen.
     
  • Forschung und Lehre: 
    KI kann in der Forschung genutzt werden, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und in der Ausbildung von angehenden Therapeut:innen als Lehrwerkzeug dienen.
     
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