Patientenverfügung: Bitte nichts ankreuzen

Was macht eine Patientenverfügung aus? Worauf ist zu achten? Und wie betrifft das den Praxisalltag? Dr. Dr. Ruppel gibt Ihnen einen Überblick.

Mitarbeiterin liest Patientenverfügung

Ärztliche Heileingriffe - auch die bestgemeinten - sind Körperverletzungen und Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht des Patient:innen. Sie bedürfen daher stets seiner Zustimmung. Diese kann ausdrücklich - etwa durch Bitten um eine ärztliche Leistung – oder konkludent - etwa durch Hinhalten des Armes für eine Blutabnahme - erfolgen. Wenn ein:e Patient:in seinen oder ihren Willen nicht mehr bilden oder äußern kann, etwa durch degenerative Prozesse oder weil er oder sie in einer Akutsituation bewusstlos vorgefunden wird, ist sein mutmaßlicher Wille zu erkunden. Hierfür können auch Briefe, Äußerungen gegenüber Freund:innen und Familienangehörigen usw. herangezogen werden. Dabei besteht natürlich immer die Gefahr, dass bestimmte Aspekte nie besprochen wurden oder Angehörige ihre eigenen Wertvorstellungen an die des Patient:innen setzen.

Was macht eine Patientenverfügung aus?

Eine Patientenverfügung ist eine geeignete Urkunde, seinen eigenen Willen zu einer Zeit zu bilden und zu äußern, in der dies noch möglich ist.

Patientenverfügungen zum Ankreuzen und auch die meisten notariellen Patientenverfügungen sind unwirksam. Der Bundesgerichtshof verlangt, dass die Entscheidungen zu Behandlungen hinsichtlich konkreter Erkrankungssituationen und ihre Auswirkungen vorhergesehen und schriftlich niedergelegt werden müssen. Die Unwirksamkeit solcher Patientenverfügungen wird immer dann festgestellt, wenn Angehörige in Streit darüber geraten, wie die Regelungen der Patientenverfügung auszulegen sind oder ob diese noch dem aktuellen Willen des oder der Patient:in entsprochen hätten – das dann zuständige Amtsgericht stellt fest, dass die Patientenverfügung überhaupt nicht wirksam ist.

Aber auch abseits der festgestellten Unwirksamkeit helfen Patientenverfügungen zum Ankreuzen oder mit kurzen Textpassagen im Ja/Nein-Modus den Patient:innen auch nicht. Ärzte können mit diesen Patientenverfügungregelmäßig nichts anfangen: Die meisten vorgefertigten Patientenverfügungen berücksichtigen nur Situationen am Lebensende und bei degenerativen Prozessen, enthalten jedoch keinerlei Anweisungen für lebensbedrohliche Akutsituationen, etwa nach Verkehrsunfällen oder Schlaganfällen. Bei diesen stehen die tatsächlichen Behandlungswünsche des oder der Patient:in in der Regel diametral zudem in der Patientenverfügung vorgesehenen Behandlungsabbrüche.

Viele in Patientenverfügungen festgelegten Anweisungen entsprechen nicht den eigentlichen Wünschen: So wird häufig der Wunsch geäußert keine Medikamente zu bekommen, zugleich aber keine Schmerzen zu erleiden. Auch wird der Wunsch geäußert, „nicht beatmet“ zu werden, wobei völlig unklar bleibt, ob der oder die Patient:in etwa einen Trachealtubus ablehnt oder jegliche Sauerstoffgabe – er bzw. sie zugleich aber Angst vor Luftnot hat.

Ebenso wenig hilfreich sind Wünsche, wonach man kein „menschenunwürdiges Leben“ haben wolle oder „nicht dahinvegetieren möchte“. Kein Arzt möchte einem Patient:innen ein menschenunwürdiges Leben zumuten – kann aber auch nicht beantworten, wann dieser Zustand für den jeweiligen Patient:innen erreicht ist. Dies ist für den Betroffenen dramatisch, der sich ja gerade nicht mehr selbst äußern und gegen Fehlentscheidungen wehren kann.

Diese hohen Anforderungen des Bundesgerichtshofes sind - wenn überhaupt - nur bei akut ausgebrochenen Erkrankungen mit kurzfristiger Lebenserwartung erfüllbar. Bei gesunden Patient:innen ist überhaupt noch nicht vorhersehbar, an welchen Erkrankungen sie in zehn oder zwanzig Jahren leiden werden und wie diese sich dann – schon angesichts des rasanten medizinischen Fortschritts – behandeln lassen und auswirken. Gleiches gilt bei multimorbiden Patient:innen, bei denen nicht vorauszusehen ist, welche Krankheit schließlich führend sein wird.

Was sollte in einer Patientenverfügung berücksichtigt werden?

Wenn also medizinische Entscheidungen nicht hinreichend konkret vorhergesagt und festgelegt werden können, empfiehlt es sich, stattdessen ein Wunsch-Werte-Angst-Profil anzulegen. Denn die Wünsche, Werte und Ängste eines Menschen sind universell für alle Krankheitsbilder und Lebenssituation und unabhängig vom medizinischen Fortschritt gültig.

Zunächst sollte eine Art Bestandsaufnahme der eigenen Lebenssituation erfolgen:

•    Hat man „sein Leben gelebt“?
•    Ist man schon lange von einer Krankheit geplagt?
•    Wie zufrieden ist man mit der eigenen Lebenssituation?
•    Ist man schon lange von Schmerzen geplagt?
•    Hat man den Tod des oder der Ehepartners oder der Ehepartnerin überwunden und neue soziale Kontakte aufgebaut? Hat man einen stabilen Freundeskreis?

Welche Wünsche, Werte und Ängste bestehen?

•    Möchte man noch verreisen? Ist ein Enkelkind unterwegs?
•    Sind Entscheidungen am Lebensende mit Gott auszumachen und vor Gott zu verantworten?
•    Kann man Pflege annehmen?
•    Kommt man mit Einsamkeit zurecht?
•    Ist man gesundheitliche Schicksalsschläge gewöhnt und kann mit diesen umgehen (gibt es z.B. Familienmitglieder mit einer Behinderung? War man Leistungssportler:in und kann schon Bettlägerigkeit nicht ertragen?)
•    Hat man Angst vor Schmerzen oder ist man ohnehin schmerzerfahren?

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An wen richtet sich die Patientenverfügung?

Patientenverfügungen richten sich an die behandelnden Ärzt:innen. Sie geben Niemanden das Recht, Verträge – etwa Behandlungsverträge – abzuschließen; es besteht daher keine Notwendigkeit, in ihr einen Vertreter zu bestellen. Da die ärztliche Schweigepflicht auch gegenüber Ehegatt:innen und Angehörigen gilt, ist es natürlich sinnvoll, in der Patientenverfügung Ärzt:innen gegenüber nahestehende Personen von der Schweigepflicht zu befreien.

Eine Patientenverfügung ist an keine besondere Form gebunden, insbesondere sind weder Rechtsanwalt noch Notar notwendig. Sie kann auch am Computer erstellt werden, solange sie ausgedruckt und handschriftlich unterschrieben wird.

Patientenverfügungen haben kein Risiko, gegen den Willen des Patient:innen missbraucht zu werden. Insbesondere gelten sie nur, wenn der Patient seinen Willen nicht mehr bilden und äußern kann. Solange er ansprechbar ist, ist sein ausdrücklicher Wille maßgebend. Zudem müssen Patientenverfügungen in Akutsituationen - etwa laufenden Reanimationen – schnell gefunden werden. Sie sollte daher keinesfalls im Bankschließfach etc. liegen. Es spricht nichts dagegen, mehrere Originale - bitte keine Kopien - der Patientenverfügung anzufertigen und diese etwa bei dem oder der Hausarzt:in, bei nahen Angehörigen, in einer vorbereiteten Krankenhaustasche und bei Freund:innen zu deponieren. Wichtig ist es zu wissen, wer alles ein Original erhalten hat, um dieses bei Änderungen wieder einsammeln und durch die neue Version ersetzen zu können.

Eine Pflicht, die Patientenverfügung regelmäßig zu aktualisieren besteht nicht.  Damit jedoch später nicht behauptetet werden kann, die dort niedergelegten Wünsche entsprächen nicht mehr dem aktuellen Willen der Patient:innen, sollte die Patientenverfügung regelmäßig – etwa alle zwei bis fünf Jahre – durch Datum und Unterschrift bestätigt werden. Wenn schwerwiegende Erkrankungen bekannt werden, bieten sich auch anlassbezogene Aktualisierungen an.

Patientenverfügungen in der Heilmittelpraxis

 Auch wenn Heilmittelerbringer ihre Tätigkeit gar nicht im Fokus von Patientenverfügungsehen, sollten sie einen Blick in diese werfen. Denn auch sie können einwilligungsunfähige Patient:innen behandeln. Zu denken ist etwa an das Absaugen von Sekret bei trachael kanülierten Patient:innen durch Logopäd:innen oder bei - ggf. schmerzhaften - Bewegungen von einwilligungsunfähigen, bettlägrigen Patient:innen zur Vermeidung von Muskelrückbildungen durch Physiotherapeut:innen. In diese Maßnahmen ist die Einwilligung des Patient:innen notwendig. Wenn etwa der oder die Patient:in jegliche lebensverlängende Maßnahmen in einer Patient:innenverfügung untersagt hat, dürfen Logopäd:innen nicht absaugen. Wenn Patient:innen etwa Symptomlinderungen erlauben, dürfen Physiothera-peut:innen Bewegungstherapien durchführen. 

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