Fachkräftemangel: Quo vadis, Therapie?

Wie lässt sich die Versorgung der steigenden Zahl von Patient:innen in der Ergo- und Physiotherapie sowie Logopädie gestalten, wenn die Zahl der Therapeut:innen langfristig eher sinkt? Drei Meinungen.

Optica PRAXISnah

Der Fachkräftemangel gilt als größtes Problem der Branche der Heilmittelerbringer:innen. Um es in den Griff zu bekommen, wird häufig nur eine Lösung angeboten: Die Ausbildung und der Beruf müssen attraktiver werden, damit mehr Menschen Therapeut:innen werden wollen. Doch was ist, wenn das nicht ausreicht? Was, wenn sich die Situation aufgrund des demografischen Wandels sogar weiterhin verschärft, wie es die Prognosen befürchten lassen? Wie ist die Versorgung der Patient:innen dann aufrechtzuerhalten. Wir haben Expert:innen und Vertreter:innen von Fachverbänden um ihre Einschätzung gebeten.

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Effektivität rund um die Behandlung erhöhen | Ute Repschläger (IFK)

Wir müssem ein dickes Brett bohren | Andreas Pfeiffer (DVE/SHV)

Es kommt auf ein Gesamtpaket an! | Robert Richter (HS Furtwangen) und Bernahrd Borgetto (HAWK Hildesheim)

Effektivität rund um die Behandlung erhöhen | Ute Repschläger (IFK)

„Sollte sich das Problem des Fachkräftemangels nicht beheben lassen, wird sich der Alltag von Physiotherapeut:innen und Patient:innen künftig ändern müssen. Der Spagat wird immer darin bestehen, effizient, aber mit der nötigen Qualität zu arbeiten.“

Ute Repschläger, IFK

Der Fachkräftemangel in der Physiotherapie ist ein wachsendes Problem. Als Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) setzen wir uns für Rahmenbedingungen ein, die so attraktiv sind, dass sich wieder vermehrt junge Menschen für eine Ausbildung zum Physiotherapeuten entscheiden und ausgebildete Kräfte gern im Beruf verbleiben. Das ist Plan „A“.

Doch was tun, wenn sich das Problem des Fachkräftemangels nicht beheben lässt? Wenn auf Dauer (zu) wenige Therapeut:innen (zu) viele Patient:innen behandeln müssen? Dafür brauchen wir einen „Plan B“, an dem wir bereits jetzt kontinuierlich arbeiten. Und der lautet: mehr Effektivität rund um die Behandlung. Denn dann können Therapeut:innen in derselben Arbeitszeit mehr Patient:innen behandeln, ohne dass die Qualität der Behandlung dabei leidet.

1) Bürokratie abbauen

Derzeit verbringen gerade Praxisinhaber:innen, aber auch angestellte Physiotherapeut:innen sehr viel Zeit mit Bürokratie und Nebentätigkeiten. Das immense Regelwerk der gesetzlichen Krankenversicherungen, die Prüfpflichten, der Einzug der Zuzahlung – die Liste von Aufgaben, die rund um die eigentliche Therapie anfallen, ist lang. Hier muss dringend hinterfragt werden, welche bürokratischen Schritte überhaupt von Nutzen sind. Ein zusätzlicher Baustein zum Abbau bürokratischer Hürden kann die Digitalisierung sein. Die Telematikinfrastruktur kann die Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Therapeut:innen vereinfachen. Spezielle Apps könnten das Verfassen von Therapieberichten erleichtern. Ziel aller Bemühungen muss es sein, dass Therapeut:innen so wenig Zeit wie möglich für Nebentätigkeiten aufbringen müssen.

2) Mehr Videotherapie

Während der Corona-Pandemie durften Physiotherapeut:innen übergangsweise einige Behandlungen per Videotherapie durchführen. Das hat so gut funktioniert, dass sich unter anderem der IFK dafür eingesetzt hat, die Videotherapie in die Regelversorgung aufzunehmen. Und das mit Erfolg: Seit dem 1. April 2022 können im GKV-Bereich einige Beschwerdebilder zu einem definierten Anteil mittels Videotherapie behandelt werden. Wenn der Fachkräftemangel weiter voranschreitet, sollte geprüft werden, für welche weiteren Therapiemethoden die Videotherapie infrage kommt. Denn besonders bei Behandlungen, die sonst als Hausbesuch durchgeführt werden, können Therapeut:innen viel Fahrtzeit einsparen, die dann direkt den Patient:innen zugutekommen kann.

3) Kombination aus Präsenz und Eigentraining 

Oftmals ist eine Kombination aus physiotherapeutischer Behandlung und per App gestütztem Eigentraining möglich. Aktuell beteiligt sich der IFK an dem wissenschaftlichen Projekt SmArt-E. Dabei erhalten Patient:innen mit Hüft- und/oder Kniegelenksarthrose zunächst von Therapeut:innen eine aktive Therapie in Form von Einzel- oder Gruppentrainings. Anschließend können sie mithilfe einer App flexibel zuhause weitertrainieren. Die App zeigt individuelle Übungen mit angepasster Schwierigkeit an. Zudem können Therapeut:innen und Patient:innen über die App per Video und Chat kommunizieren. Bei Bedarf gibt es passgenaue Physiotherapie in Präsenz. Die Kombination aus Präsenz und Eigentraining bietet das Potenzial, Ressourcen zu schonen, ohne dass die Behandlungsqualität darunter leidet. Auf die wissenschaftlichen Ergebnisse des Projekts sind wir daher sehr gespannt. Im Anschluss wird zu prüfen sein, ob diese Kombination auch für weitere Beschwerdebilder passend sein kann.

4) Behandlungen wissenschaftlich auswerten

Erfreulicherweise gibt es immer mehr Menschen, die Physiotherapie studieren und dabei neben allen praktischen Fähigkeiten auch die Kompetenzen erlangen, wissenschaftlich zu arbeiten. Forschungen zur Wirkung von Physiotherapie helfen, die Qualität und Effizienz unserer Behandlungen noch weiter zu optimieren. Auch deshalb fordert der IFK, dass künftig alle Physiotherapeut:innen hochschulisch ausgebildet werden. Denn wenn Patient:innen dank neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse schneller wieder fit werden, entlastet das das System.

Sollte sich das Problem des Fachkräftemangels nicht beheben lassen, wird sich der Alltag von Physiotherapeut:innen und Patient:innen künftig ändern müssen. Der Spagat wird immer darin bestehen, effizient, aber mit der nötigen Qualität zu arbeiten, damit jede Patientin und jeder Patient die bestmögliche Versorgung erhält. Physiotherapeut:innen sind hier die Spezialist:innen – und müssen auch dementsprechend vergütet werden, damit sie gegenüber anderen Berufsgruppen attraktiv bleiben. Denn eine angemessene Vergütung bleibt gerade für junge Menschen ein wichtiges Auswahlkriterium bei der Frage, welchen Beruf sie ergreifen möchten.

Ute Repschläger ist Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands selbstständiger Physiotherapeuten (IFK).


Wir müssen ein dickes Brett bohren | Andreas Pfeiffer (DVE/SHV)

„Wir werden nicht drum herumkommen, auch mal „out of the box“ zu denken, wie es neudeutsch heißt.“

Andreas Pfeiffer

Wenn die Vorhersagen zutreffen, müssen wir akzeptieren, dass trotz der (selbstverständlich weiterhin dringend notwendigen) Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel, die Zahl der Therapeut:innen wohl eher sinken, die Zahl der Patient:innen, die Heilmittel abrufen, dagegen eher steigen wird. Damit müssen wir umgehen und uns Gedanken machen, wie wir die dadurch entstehenden Probleme in den Griff bekommen oder zumindest abmildern können. Sicherlich gibt es dafür nicht die eine Lösung, sondern vielmehr ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die ergriffen werden müssen. Wir werden dabei nicht drum herumkommen, dafür auch mal „out of the box“ zu denken, wie es neudeutsch heißt. Denn ja, es ist ein dickes Brett! Und nicht nur beim Hobeln, sondern auch beim Bohren fallen manchmal Späne.

Ein Beispiel: Eigentlich müssten alle Menschen, die Heilmittel verordnet bekommen, diese auch in einer angemessenen Zeit erhalten. Wenn wir jedoch ehrlich sind, ist dies bereits schon heute nicht der Fall. Wie sollen wir also damit umgehen, wenn sich die Lage noch weiter zuspitzt? Schon jetzt arbeiten viele Praxen ihre Wartelisten nicht streng nach dem Prinzip „first come, first served“ ab. Stattdessen priorisieren sie nach Dringlichkeit bzw. medizinisch-therapeutischer Notwendigkeit. Letztlich brauchen wir deshalb auch hier eine Triage, wie sie während der Corona-Zeit so hitzig diskutiert wurde. Selbst wenn es hier in aller Regel nicht um Leben und Tod geht, ist die Frage ethisch brisant: Welche Patient:innen werden bevorzugt oder schneller behandelt und warum?

Wenn wir das verhindern möchten und der Überzeugung sind, dass grundsätzlich alle unsere Patient:innen eine Behandlung mit Heilmitteln benötigen, müssen wir nach Lage der Dinge über die Behandlung selbst nachdenken, sie also anders gestalten: effektiver und ressourcensparender. Sie muss in manchen Fällen vielleicht kürzer oder mit mehr Therapiepausen sein. Auch das Empowerment und das eigenverantwortliche Handeln der Patient:innen werden wir noch mehr in den Fokus rücken müssen sowie eine Behandlung in der Gruppe häufiger in Betracht ziehen. Und wir sollten in dem Zusammenhang ebenso darüber nachdenken, ob wir uns weiterhin Behandlungsmethoden leisten können, deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist. Nach meinem Dafürhalten wird deshalb an der Konzentration auf evidenzbasierte Methoden kein Weg vorbeiführen – und damit auch nicht an einer Ausbildung, die konsequent auf allein solche Methoden setzt. Stichwort: Vollakademisierung.

Vor allem möchte ich aber hier auf ein Thema setzen, dass in der Diskussion zuweilen etwas zu kurz kommt. Ein Thema, das in allen anderen Berufen mit Fachkräftemangel hoch und runter diskutiert wird, bei uns aber häufig unter „ferner liefen“ gehandelt wird: nämlich das Thema „Vorsprung durch Technik“. Gemeint sind also Themen rund um Digitalisierung, Automatisierung und Telematik, um Künstliche Intelligenz und Robotik, um Virtual und Augmented Reality (VR und AR).

Bei Digitalisierung, Automatisierung und Telematik liegen die Vorteile auf der Hand: Hier lässt sich vieles in der Praxis optimieren, damit die Therapeut:innen weniger Zeit für Administration und Bürokratie aufwenden müssen. Zeit die sie dann mehr haben, um ihre Patient:innen versorgen zu können. Ich denke aber auch an Kommunikation und Information. Denn die Ressource „interprofessionelle Zusammenarbeit“ müssen wir ebenfalls heben, um den Fachkräftemangel etwas abzumildern – also die Kommunikation untereinander, zwischen den verschiedenen Berufsgruppen, die die Patient:innen behandeln, aber genauso natürlich die Kommunikation mit den Patient:innen selbst.

Auch in der Behandlung muss man sich die Technologie zunutze machen, um Therapeut:innen künftig zu entlasten. Mit der Möglichkeit einer telemedizinischen Leistungserbringung – als einer modernen Variante des Hausbesuchs – haben wir dafür den ersten Schritt gemacht. In Zukunft wird hier aber sicher noch viel mehr möglich sein, erste vielversprechende Entwicklungen sind bereits heute zu beobachten. Ich denke da an automatisierte Übungserkennung, bei der Therapeut:innen dank VR- und AR-Übungen und -Therapieanwendungen in Echtzeit visualisieren und veranschaulichen können. An KI-Systeme, die Übungspläne erstellen, die auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten von einzelnen Patient:innen abgestimmt sind. Oder an solche, die den Fortschritt der Patient:innen überwachen und anpassen, um sicherzustellen, dass die bestmöglichen Ergebnisse erzielt werden. Und ich denke an Systeme, die Daten aus verschiedenen Quellen sammeln, analysieren und verarbeiten können, um Therapeut:innen bei komplexen Diagnose- und Therapieentscheidungen zu unterstützen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Einbindung solcher Tools in Therapie und Diagnose nicht nur die Ressource Mensch etwas entlasten, sondern sogar zur Verbesserung der Versorgung beitragen könnte.

All das klingt jetzt vielleicht etwas abgehoben, aber es gibt sie schon, diese Lösungen. In Deutschland zwar erst vereinzelt, in anderen Ländern wie den USA, Kanada oder Israel aber bereits in der Breite. Wir müssen uns eingestehen, dass wir bei solchen Themen eher etwas rückständig sind. Dies hat in erster Linie mit dem Ausbildungsniveau hierzulande zu tun (noch einmal das Stichwort: Vollakademisierung). Denn daraus ergibt sich zwangsläufig, dass in Deutschland auch die Forschung zu solchen Themen noch sehr in den Kinderschuhen steckt.

Die Zeiten sind übrigens längst vorbei, in denen Therapeut:innen solche technischen Hilfsmittel als Bedrohung wahrgenommen haben, als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Im Gegenteil: Heute sehen wir darin genau das Potenzial, das wir brauchen, um uns zu entlasten. Selbstverständlich wird sich dadurch auch unsere Arbeitsweise ändern müssen und ebenso selbstverständlich müssen wir uns auf neue Anforderungen einstellen und dafür neue Kompetenzen erwerben (hier könnte ich ein letztes Mal das Stichwort aufrufen). Und das wird nicht allen schmecken! Aber warum sollte unser Beruf der einzige sein, der sich nicht ändern muss? Die Welt ist in Bewegung. Und wir müssen es auch sein!

Andreas Pfeiffer ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Verbands Ergotherapie DVE und Vorsitzender des Spitzenverbands der Heilmittelverbände SHV.


Es kommt auf ein Gesamtpaket an! | Robert Richter (HS Furtwangen) und Bernhard Borgetto (HAWK Hildesheim)

Die demografische Entwicklung, aber vor allem auch Klima- und Umweltveränderungen schaffen Fakten, und wir müssen uns fragen, wie wir in der Physiotherapie die Versorgung künftig aufrechterhalten können. Wenn wir uns auf das – wahrscheinlich sehr realistische – Zukunftsszenario einlassen, dass die Zahl der Physiotherapeut:innen trotz Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel nicht steigen und wahrscheinlich sogar eher sinken wird, sehen wir folgende Handlungsoptionen:

Erstens: Wir müssen darüber nachdenken, wie sich die Menge der Patient:innen reduzieren lässt. Dies zielt auf den Aspekt der bedarfsgerechten Versorgung. Wir wissen alle, dass ein gewisses Maß an Über- und Fehlversorgung nicht von der Hand zu weisen ist. Nach wie vor gibt es beispielsweise Menschen, die eine kaum evidente Massage wegen ihrer „Verspannungen“ verschrieben bekommen – anstatt dass man sie motiviert, sich einfach mal etwas mehr zu bewegen. Apropos: „Bewegung und gesunde Ernährung sind die beste Medizin“ ist seit Jahrzehnten in Ratgebern zu lesen und vielfach wissenschaftlich belegt. Die Fähigkeit zur Bewegung „gehört“ allen Menschen. Die Physiotherapie steht auch in der Verantwortung, die Menschen wieder dazu zu befähigen. Denn dann wäre auch in den Physiotherapiepraxen deutlich weniger los.

Zweitens: Das Stammkundengeschäft ist das A und O für den Erfolg von Unternehmen. Wen wundert es daher, dass in unserem marktorientierten Gesundheitssystem auch in manch einer Praxis versucht wird, Patient:innen so lange wie möglich zu halten. Mindestens eine Folgeverordnung ist dabei gängige Praxis. Doch Patient:innen sind keine Kund:innen, selbst wenn allzu oft das Gegenteil behauptet wird! Oberstes Ziel müsste es sein, Patient:innen so schnell wie nur möglich wieder aus der Praxis herauszubekommen oder bei chronischen Erkrankungen die Behandlungsfrequenz zu senken. Jede eingesparte Folgeverordnung ermöglicht die Annahme einer neuen Verordnung; wo vorher nur ein Mensch behandelt werden konnte, können es nun zwei sein.

Drittens: Wir müssen uns fragen, wie wir die Therapie effizienter gestalten können. Dies ist in dem derzeitigen Korsett jedoch kaum möglich! Es muss abgearbeitet werden, was von den Ärzt:innen auf der Verordnung angegeben wurde. Es ist beispielweise nicht möglich, Patient:innen erst einmal umfänglich zu befunden, dann individuelle Übungen als Heimübungsprogramm mitzugeben und dann in größeren Abständen zu kontrollieren, was sich verändert hat, um gegebenenfalls nachzujustieren. Eine solche Vorgehensweise würde Ressourcen einsparen und wäre dennoch sehr wahrscheinlich in vielen Fällen wirkungsvoller.

Viertens: Auch die Effektivität unserer Therapien muss auf den Prüfstand. Dafür muss insbesondere die Versorgungsforschung in Deutschland ausgebaut werden. Der Einsatz von Physiotherapie kann extrem erfolgreich sein – muss es aber nicht. So können passive Maßnahmen auch zur Chronifizierung und Abhängigkeit der Patient:innen beitragen. Also: so viel passiv wie nötig, so viel aktiv wie möglich. Es gilt, die Versorgungsqualität zu erhöhen, um Menschen schneller aus der Versorgung entlassen zu können. Dies funktioniert nur mit einer evidenzbasierten, individuell angepassten und aktivitätsorientierten Therapie. Professionelle Beziehungsgestaltung, aktive Mobilisation und Förderung von Gesundheitskompetenz spielen hier eine ganz wesentliche Rolle, denn Patient:innen sollen so schnell wie möglich wieder die Verantwortung für sich selbst übernehmen.

Fünftens: Das übliche 1:1-Verhältnis zwischen Patient:innen und Therapierenden wird zum Problem, wenn die Zahl der einen stetig steigt, die Zahl der anderen jedoch stagniert oder gar sinkt. Von daher stellt sich die Frage, ob es gelingen könnte, dieses Verhältnis zu verändern. (Klein-)Gruppentherapieangebote zeigen bereits heute, dass es gewisse Spielräume gibt. Durch die Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und den entsprechenden Einsatz von modernen Geräten werden diese Spielräume künftig weiter auszubauen sein. Zudem können Aspekte sozialer Interaktion als motivationaler Faktor besser genutzt werden.

Sechstens: Wenn alle Therapierenden nichts anderes machen würden, als Patient:innen zu behandeln, wäre das oben genannte Problem deutlich entschärft. Aber was machen sie sonst in ihrer Arbeitszeit? Neben dem bürokratischen Aufwand sind es vor allem Angebote auf dem zweiten Gesundheitsmarkt, die Zeit verschlingen. Den einzelnen Therapierenden und Praxisinhaber:innen ist dabei nicht vorzuwerfen, wenn sie sich Betätigungsfelder suchen, die mehr Geld einbringen als das Behandeln von Kassenpatient:innen. Das ist in einem Gesundheitssystem, das in den letzten Jahrzehnten konsequent zu einem Gesundheitsmarkt umgebaut wurde, nur logisch. Gegen eine evidenzbasierte Primärprävention auf Bewegungsgrundlage ist auch nichts zu sagen – im Gegenteil, auch so kann die Zahl der Patient:innen reduziert werden. Der Nutzen von Fitness- und Wellnessangeboten ist dafür jedoch sehr begrenzt.

Keine der genannten Veränderungsoptionen alleine wird ausreichen. Es kommt auf ein Gesamtpaket an. Hier ist vor allem die Politik gefragt, die Rahmenbedingungen vorgeben muss, in denen sich die Therapierenden entsprechend verhalten können. Vollakademisierung und Direktzugang sind dabei ganz wesentliche Schritte, um die geringe Wahrscheinlichkeit einer weiteren quantitativen Zunahme von Therapierenden durch mehr Therapiequalität zu kompensieren. Schließlich haben wir schon heute weltweit mit die meisten Physiotherapeut:innen pro Kopf der Bevölkerung.

Prof. Dr. Robert Richter ist Professor für Bewegungstherapie an der Hochschule Furtwangen. 
Prof. Dr. Bernhard Borgetto ist Professor für Gesundheitsförderung und Prävention an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim – sowie Vorsitzender des Hochschulverbunds Gesundheitsfachberufe.


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