Mehrwert MDR? Mehr Aufwand für Hilfsmittelerbringer:innen

Seit einem Jahr ist die neue Medizinprodukteverordnung (MDR) endgültig in Kraft. Sanitätshäusern sowie Orthopädietechnik- und Orthopädieschuhtechnikbetrieben verschafft sie vor allem einen Mehr-Wert: Ein Mehr an Aufwand.

Eine im Oktober 2022 veröffentlichte Studie der Unternehmensberatung Roland Berger verzeichnet der Medizintechnikbranche sinkende Margen und kommt zu dem Schluss, dass dies auch auf die europäische Marktregulierung zurückzuführen ist. Gut ein Jahr nach in Krafttreten der Medizinprodukteverordnung (MDR) als neuestes Regelwerk ist klar: Viele Regelungen sind sinnvoll, andere werden hingegen von der Hilfsmittelbranche als überzogen empfunden. Die Regelungen passen in ihrer Spannweite über alle europäischen Märkte hinweg nicht immer zum Alltag von Sanitätshäusern oder Orthopädietechnikbetrieben: „Man hat sich arrangiert, ist aber nicht glücklich. Die MDR ist ein Regelwerk, das dem Versorgungsalltag der Unternehmen nicht gerecht wird“, beschreibt Bettina Hertkorn-Ketterer, Rechtsanwältin im Gesundheitswesen, die Stimmung im Markt. Anja Faber-Drygala, Juristin und Prokuristin bei der Sanitätshaus Aktuell AG, ergänzt: „Der Brustprothesenskandal hat gezeigt, dass für gewisse Medizinprodukte nachhaltigere Kontrollen und striktere Regelungen unabdingbar sind. Die in Sanitätshäusern eingesetzten Produkte haben allerdings überwiegend eine geringe Risikoklasse 1, allenfalls 2a, und trotzdem unterliegen sie jetzt einem enormen bürokratischen Aufwand.“

Mehr Pflichten: Sanitätshäuser oft Händler:innen und Hersteller:innen zugleich

„Sanitätshäuser und Orthopädietechnikbetriebe haben zwei Hüte auf, denn sie sind Hersteller:innen für Sonderanfertigungen, wenn sie Orthopädie(schuh)technik anbieten, und sie sind Händler:innen. Schon als Händler:in müssen sie eine Vielzahl an Vorschriften beachten“, so Bettina Hertkorn-Ketterer. Sie müssen im Rahmen ihrer Prüfpflichten sicherstellen, dass die Produkte entsprechend dem Zweck der Hersteller:innen eingesetzt und dass die Rahmenbedingungen eingehalten werden, unter denen sie den Einsatz definiert haben. „Der Markt hat sich mit den Händlerpflichten intensiv auseinandergesetzt, wenn es aber zum Beispiel um die Entnahme von Produkten aus Großpackungen und die Bemusterung von Patient:innen geht, stellt das die Sanitätsfachhändler:innen in der Praxis vor Herausforderungen“, ergänzt sie. Der regulatorische Rahmen sei oft nur schwer oder gar nicht zu stemmen, wenn z.B. die Kombination von CE-gekennzeichneten Produkten dazu führt, dass man umfangreiche Prüfungen durchzuführen und Erklärungen abzugeben habe. „Soweit nicht-CE-gekennzeichnete Produkte kombiniert werden sollen, löst dies noch umfangreichere Pflichten aus“, fügt Anja Faber-Drygala hinzu. Die Folge sei, dass Produkte, die in der Vergangenheit problemlos kombiniert worden seien, so nicht mehr angeboten werden. Zum Nachteil der Patient:innen seien Versorgungsvarianten dann mitunter nicht mehr erhältlich.

Mehr Dokumentation: Für einen nachvollziehbaren Medizinproduktemarkt

Im Zuge der MDR sind Hilfsmittelerbringer:innen verpflichtet, aufgrund ihrer Händlerpflichten ihre Dokumentation und Prozesse neu zu justieren. Hilfsmittelerbringer:innen müssen sich etwa fragen:

  • Wie lauten die Stammdaten zum Produkt?
  • Welche Angaben macht der Hersteller z. B. zu Themen wie Lagerung und Transport?
  • Gibt es Gefahren in der Anwendung?
  • Wie lässt sich die Lieferkette nachvollziehen?
  • Wurden Veränderungen am Produkt vorgenommen?
  • Können Produkte kombiniert werden?
  • Gibt es Vorkommnisse in der Anwendung?
  • Und bin ich noch Händler:in oder schon Hersteller:in?

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Mehr Vorschriften: Prüfpflichten für korrekten Einsatz von Medizinprodukten

Hersteller:in ist, wer ein Produkt mit dem Ziel der Vermarktung unter eigenem Namen herstellt, aufbereitet, als neu entwickeln oder aufbereiten lässt. Auch Gesundheitshandwerker:innen, die ein Hilfsmittel für eine konkrete Person fertigen, sind Hersteller:innen im Sinne der MDR. Sonderanfertiger:innen müssen wie die Hersteller:innen von Serienprodukten, wenn auch in reduzierter Form, die umfangreiche klinische Bewertung sowie eine Risikoanalyse durchführen. Außerdem müssen sie ein Qualitätsmanagementsystem vorhalten, um das Produkt mit einer Konformitätserklärung versehen zu dürfen. Um die Anforderungen im Bereich der Sonderanfertigungen auch unter den Vorgaben der MDR stemmen zu können, haben Branchenexpert:innen der Deutschen Gesellschaft für interprofessionelle Hilfsmittelversorgung e. V. (DGIHV) Musterdokumente für Risikoanalysen, Gebrauchsanweisungen und klinische Bewertungen erarbeitet und herausgegeben. „Das ist ein großer Schulterschluss aller Verbände und Betriebe, die in der DGIHV organisiert sind und unterstützt die Sanitätshäuser und Orthopädietechnikbetriebe enorm“, so Anja Faber-Drygala.

Mehr Sorgfalt: Regelungen für sichere Medizinprodukte

Trotz der Kritik ist festzustellen, dass die Pflichten aus der MDR die Branche nicht ganz unvorbereitet getroffen haben. Bereits die nationalen Vorgängergesetze, wie das Medizinproduktegesetz, haben Hersteller:innen und Leistungserbringer:innen von Medizinprodukten Prüf- und Überwachungspflichten auferlegt, um die Sicherheit der Medizinprodukte zu gewährleisten. Im Rahmen der Zertifizierung nach ISO 9001 und 13485 wurde die Umsetzung der Prüf- und Überwachungspflichten nachgehalten. Positiv an der Einführung der MDR ist, dass die Sensibilität für die Sicherheit von Medizinprodukten noch einmal deutlich erhöht wurde. Dies dient insbesondere den Patient:innen.

Mehr Abgrenzung: MDR versus Medizinprodukte-Betreiberverordnung

Auch die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV), die schon vor Inkrafttreten der MDR galt und durch sie auch inhaltlich nicht verändert wurde, ist mit den neuen Regelungen noch einmal stärker in den Fokus geraten. „Während die MDR regeln soll, dass Medizinprodukte sicher erstmalig in den Verkehr kommen, verfolgt die MPBetreibV das Ziel, dass sie auch während ihres Einsatzes sicher bleiben“, erläutert Anja Faber-Drygala. Deshalb sehe sie strenge Vorschriften in Bezug auf die Einweisung, Instandhaltung und Wartung von Hilfsmitteln vor. Lange war umstritten, wer Betreiber:in von Hilfsmitteln im ambulanten Bereich ist. Durch die Neufassung der MPBetreibV ist klargestellt, dass die Krankenkassen die Betreiberpflichten erfüllen müssen, diese aber vertraglich auf die Leistungserbringer:innen delegieren können. Im Unterschied zu den Pflichten der MDR, welche die Sanitätshäuser bei der Fertigung und in Abgabe von Medizinprodukten per Gesetz treffen, müssen sie die Betreiberpflichten nur nach vertraglicher Delegation durch die Krankenkassen wahrnehmen. „In der Praxis haben wir große Verunsicherungen festgestellt, welches Regelwerk für welche Vorsorgungskonstellation gilt“, so Anja Faber-Drygala. Daher haben wir von der Sanitätshaus Aktuell AG gemeinsam mit dem Reha-Service-Ring einen Leitfaden zur MDR mit Checklisten und Musterdokumenten sowie eine umfangreiche FAQ-Lister zur MPBetreibV erstellt, um unseren Partnerbetrieben Orientierungshilfe zu geben.“ Bettina Hertkorn-Ketterer ergänzt: „Die Komplexität des Themas wird deutlich und ein Bürokratieabbau ist nicht in Sicht. Deswegen ist es Anliegen der Verbände, den Hilfsmittelerbringer:innen Unterstützung auch in Form von Seminaren und Beratungen, aber zum Beispiel auch mit Leitfäden und Mustern zu bieten“.

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