Therapeut:innen jenseits der Praxis: drei spannende Arbeitsfelder im Porträt
Ergotherapie: Tagesstätte eines Psychosozialen Zentrums
Die Ergotherapeutin Clarissa Schipperges hilft in einer Tagesstätte psychisch kranken Menschen.
Gefragt, wie denn ihr Arbeitsalltag aussieht, sprudelt es aus Clarissa Schipperges heraus. Schnell wird klar, dass in der Tagesstätte des Psychosozialen Zentrums in Frankfurt, in der die Ergotherapeutin seit rund acht Jahren arbeitet, kein Tag ist wie der andere. „Die Arbeit ist so unterschiedlich und vielfältig wie die Menschen, die mit ihren psychischen Erkrankungen zu uns kommen“, berichtet sie und strahlt dabei. Divers ist indes auch die Herkunft der Klient:innen, denn fast alle haben einen Migrationshintergrund – Markenkern des Internationalen Zentrums, zu dem die Einrichtung gehört.
„Es ist wichtig, den Menschen etwas Struktur in ihrem Leben zu geben; denn damit haben sie auch einen Grund, jeden Morgen aufzustehen und den Tag zu beginnen.“
Clarissa Schipperges
Das Angebot der Tagesstätte ist freiwillig, die tägliche Anwesenheit und Beteiligung jedoch verbindlich. „Es ist wichtig, den Menschen etwas Struktur in ihrem Leben zu geben“, hebt Schipperges hervor, „denn damit haben sie auch einen Grund, jeden Morgen aufzustehen und den Tag zu beginnen.“ Was nach dem gemeinsamen Frühstück gemacht wird, hängt dann aber sehr von den jeweiligen Anforderungen und Bedürfnissen der Klient:innen ab. „Das ist super individuell“, so die Ergotherapeutin – und das Angebot groß. So bietet Schipperges neben einem täglichen Yogakurs auch klassische Ergotherapie in der hauseigenen Holzwerkstatt oder der Töpferei an. Hinzu kommen wöchentliche Schwimmbadbesuche, ein Theaterprojekt oder auch Einkäufe und Ausflüge, um einfach wieder zu lernen, sich draußen in „freier Wildbahn“ zu bewegen. „Letztlich geht es darum, den Menschen etwas Stabilität zu geben, an ihren Zielen zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass sie irgendwann wieder mal alleine den Alltag meistern können.“ An ihrer Arbeit gefällt der 43-Jährigen insbesondere die fachliche Vielfalt. Nach ihrer Ausbildung hatte sie erst einmal zehn Jahre in einer Klinik gearbeitet und dort ein großes, interdisziplinäres Team schätzen gelernt. „Das wollte ich nicht mehr missen.“
Physiotherapie für Tänzer:innen
Der Physiotherapeut Bao Chau Nguyen alias Chau-Lin tanzt – und behandelt andere Tänzer:innen.
Dass Breaking – so heißt Breakdance im Fachjargon – ein Sport ist, bei dem man sich schnell mal verletzt, musste Bao Chau Nguyen alias Chau-Lin erst kürzlich wieder erfahren. Im Finale der Deutschen Meisterschaft in Duisburg, kam er bereits in der ersten Runde bei einem Sprung so ungünstig auf, dass er das „Battle“ abbrechen und sich mit der Vize-Meisterschaft begnügen musste. „Genau so bin ich damals auch zur Physiotherapie gekommen“, erzählt der 31-Jährige. Denn bei früheren Verletzungen habe er von den Ärzt:innen immer nur zu hören bekommen, er müsse mit dem Tanzen aufhören. Physiotherapeut:innen hätten ihm dagegen gute und effektive Übungen gezeigt, mit denen er seine Verletzungen wieder in den Griff bekommen konnte. „Ich merkte, dass ich mich durch die Übungen sogar im Breaken verbesserte“, so Nguyen.
„Das ist eine große Chance für uns alle – für die Tänzerinnen und Tänzer natürlich, aber auch für die Tanz-Physiotherapie, die sich gerade enorm entwickelt.“
Bao Chau Nguyen
Über ein Schülerpraktikum kam er in Kontakt mit einem Praxisinhaber, der seine Leidenschaft fürs Tanzen verstand und ihm anbot, bei ihm nur halbtags zu arbeiten, sodass er den Rest des Tages trainieren konnte. „So wurde ich Physiotherapeut – ursprünglich allein aus dem Bedürfnis heraus, mir selbst helfen zu können“, sagt der Stuttgarter schmunzeld. Denn mittlerweile geht es ihm um weitaus mehr. So hat er zusammen mit anderen Physiotherapeut:innen eine tanzwissenschaftliche Trainingsmethode und inzwischen sogar mit HE4DS (für „Health Education for Dancers“) ein Unternehmen gegründet, das anderen Tänzer:innen auf der ganzen Welt helfen möchte, so Nguyen. „Wir leisten echte Pionierarbeit.“ Bei all dem soll seine eigene Karriere als Breaker nicht zu kurz kommen. Denn jetzt stehen – eine erfolgreiche Behandlung der Verletzung vom Juli vorausgesetzt – im September erst einmal die Weltmeisterschaften im belgischen Leuven an, im kommenden Sommer folgen dann die Sommerspiele in Paris. Denn Breaking ist erstmals überhaupt olympisch, und Chau-Lin ist als einer der besten deutschen B-Boys dabei. „Das ist eine große Chance für uns alle“, sagt er stolz. „Für die Tänzerinnen und Tänzer natürlich, aber auch für die Tanz-Physiotherapie, die sich gerade enorm entwickelt.“
Logopädie: Sprach-Kita
Die Logopädin Janine Litzen arbeitet in einer Sprach-Kita mit Kindern, deren Eltern und dem ganzen Team.
„Kinder kommen meistens erst viel zu spät in die Praxis“, weiß die Logopädin Janine Litzen aus Ratingen – dann nämlich, wenn die fehlende sprachliche Entwicklung in der Schule zum Problem wird. Deshalb lohnt es sich, früher mit einer entsprechenden Förderung anzufangen, gerade in Kindertagesstätten, die von einer großen Zahl von Kindern aus bildungsbenachteiligten Familien oder von Familien mit Migrationshintergrund besucht werden. „Es geht hier schließlich auch um Bildungsgerechtigkeit und darum, dass alle Kinder die gleichen Chancen bekommen sollen“, so die 44-Jährige. Und Sprachkompetenz sei nun einmal eine Schlüsselfunktion für die Persönlichkeitsentwicklung und eine der wichtigsten Voraussetzungen für den schulischen und beruflichen Erfolg sowie die gesellschaftliche Integration.
„Es geht schließlich auch um Bildungsgerechtigkeit und darum, dass alle Kinder die gleichen Chancen bekommen sollen.“
Janine Litzen
Seit gut zwei Jahren arbeitet Litzen daher in einer sogenannten Sprach-Kita. Seit 2016 gibt es zahlreiche solcher Einrichtungen in Deutschland. Oder es gab sie zumindest bislang. Denn in diesem Sommer wurde die Finanzierung des Förderprogramms der Bundesregierung eingestellt und in die Verantwortung der Länder übertragen. „Mein Job ist aber auf jeden Fall gesichert“, so die Logopädin, denn selbst wenn Ende des Jahres auch die Landesregierung die Finanzierung einstellen sollte, wird wohl die Stadt Ratingen einspringen.
Nach der Geburt ihrer Kinder und der anschließenden Erziehungszeit nicht mehr in eine logopädische Praxis zurückgekehrt zu sein, bereut Litzen nicht. „In einer Praxis ist man doch viel alleine mit sich und den Patient:innen“, in der Kita dagegen gäbe es mehr als 100 Kinder, die dazugehörigen Eltern und natürlich auch das ganze Team. Mit allen würde sie intensiv zusammenarbeiten. „Ich gehe hier nicht mehr weg“, sagt Litzen lachend.