Frauenpower - Therapieberufe in Frauenhand

Heilmittelerbringerberufe sind frauendominiert. Aber warum ist das so? Und: Braucht es mehr männliche Therapeuten?

Frauenpower - Therapieberufe in Frauenhand

Rund 29.000 therapeutisch ausgebildete Menschen kümmern sich hierzulande um die Versorgung von Patient:innen, die unter Störungen der Sprache, des Sprechens, der Stimme oder des Schluckens leiden. Dazu gehören staatlich anerkannte Logopäd:innen, akademische Sprachtherapeut/innen und Atem-, Sprech- und Stimmlehrer:innen. So vielgestaltig diese Berufsgruppen auch sind, eines haben alle gemeinsam: Der Anteil der Frauen ist extrem hoch, er liegt bei 93 Prozent. Mit gut 86 Prozent ist der Frauenanteil bei Ergotherapeut:innen etwas niedriger, bei den Physiotherapeut:innen liegt er bei gut 75 Prozent. Und noch höher ist er wohl nur bei den Praxishilfen – bei ihnen sind nur zwei von hundert männlichen Geschlechts. Warum Heilmittelerbringerpraxen so frauendomminiert sind, hat vor allem historische Gründe: Weil einst eine medizinische-akademische Karriere den Männer vorbehalten war, mussten sich Frauen mit jenen Berufen der Gesundheitsversorgung begnügen, die ohne ein solches Studium auskamen. Dass es ausgerechnet diese Berufe sind, die bis heute schlecht bezahlt sind, kommt dabei natürlich nicht von ungefähr. Der Zusammenhang zwischen „Frauenberufen“ und schlechten Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten ist auch in anderen Branchen zu beobachten.

Für die Verbände ist daher die Aufwertung und Akademisierung der Heilmittelberufe der Königsweg, um an dieser Situation etwas zu ändern. Dies würde dann auch ganz automatisch dazu führen, dass sich der Männeranteil erhöhe. Hierzu Dietlinde Schrey-Dern, Sprecherin des Arbeitskreis Berufsgesetz und selbst Logopädin: „Ich bin davon überzeugt, dass den Beruf mehr Männer erlernen und ausüben würden, wenn er eine berufliche Perspektive einschließlich einer besseren Bezahlung böte, die über den immer noch berufsgesetzlich festgelegten Berufsfachschulstatus hinausgeht, und der Abschluss mindestens ein berufsqualifizierender Bachelor wäre.“

Doch während die einen den hohen Frauenanteil in den Heilmittelberufen nur als Symptom einer falschen Politik und als „eine Folge der Diskriminierung unserer therapeutischen Berufe“ ansehen, so Schrey-Dern, ist er für andere gelebte Praxis. Und die finden manche Praxisinhaberinnen gar nicht mal so schlecht – wie Gabriele Herzing, Logopädin aus Kassel: „Lange Zeit arbeiteten bei uns keine Männer, weil ich keine entsprechenden Bewerber hatte. Mittlerweile würde ich aber auch sehr lange überlegen, ob ich überhaupt einen Mann einstellen wollte.“ Der Grund: Ihr reines Frauenteam sei ein richtiges „Dream-Team“, bei dem ein Mann vielleicht nur das harmonische Gruppengefüge stören würde. Denn ob ein Mann tatsächlich so eine hohe Sozial- und Fachkompetenz mitbringen würde wie ihre derzeitigen Mitarbeiterinnen? Gabriele Herzing hat gewisse Zweifel.

In MINT-Berufen ist bekannt, dass gemischte Teams Vorteile haben

Wenn ein Arbeitgeber aus der Elektroindustrie, der IT-Branche oder des Bauhandwerks solche Bedenken gegenüber weiblichen Bewerberinnen öffentlich äußern würde, bekäme er wohl gehörig Gegenwind zu spüren. Und das nicht nur von Feministinnen. Denn mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass gemischte Teams gegenüber reinen Männergruppen klar im Vorteil sind: Sie gleichen die Schwächen gut aus und können unterschiedliche Stärken besser nutzen. Sie sind in der Regel aufmerksamer im Umgang miteinander, da verschiedene Erfahrungswelten aufeinandertreffen. Und auch die Stimmung ist häufig ausgeglichener als bei reinen Männerteams. Gilt das andersherum bei reinen Frauenteams nicht?

„Meine weiblichen Kolleginnen haben in verschiedenen Teams stets betont, dass es für das Team eine Bereicherung ist, wenn ein Mann dabei ist“, berichtet Andreas Pfeiffer, Vorsitzender des Ergotherapie-Verbands DVE sowie des Dachverbands der Heilmittelverbände SHV. Er selbst habe damals den Beruf während des Zivildienstes kennen- und schätzen gelernt. Erst mit Beginn der Ausbildung habe er dann gemerkt, was für ein Exot er mit seiner Berufswahl ist. „An meinem ersten Schultag wurde mir – umringt von Frauen – klar, dass Männer wohl eher selten so einen Beruf erlernen.“

Aber wäre es nicht auch aus fachlichen Gründen besser, wenn es mehr männliche Therapeuten gäbe – zum Beispiel wenn der Patient ein Junge ist? Logopädin Schrey-Dern hält davon wenig: „Meines Wissens gibt es in unserem Bereich dazu keinerlei Untersuchungen, aus denen hervorginge, wann etwas von Vor- oder von Nachteil ist. Das sind alles Spekulationen“. Pfeiffer hingegen ist davon überzeugt, dass die Therapeut:innen genauso divers sein sollten wie ihre Patient:innen. „Wobei es hier im individuellen Einzelfall sogar gerade sinnvoll sein kann, dass eine Klientin von einem Therapeuten begleitet wird und umgekehrt“, so der Ergotherapeut.

"Ich bin davon überzeugt, dass den Beruf mehr Männer erlernen und ausüben würden, wenn er eine berufliche Perspektive einschließlich einer besseren Bezahlung böte."

Dietlinde Schrey-Dern, Logopädin und Sprecherin des Arbeitskreis Berufsgesetz

Abgesehen davon, sprechen rein quantitative Gründe dafür, dass mehr männliche Therapeuten für die gesundheitliche Versorgung der Patient:innen von Vorteil wären. Denn mehr Männer bedeutet schließlich auch: mehr Therapeuten:innen. Und die werden – darüber besteht Konsens – in Zeiten des Fachkräftemangels dringend gebraucht. Ob die männlichen Bewerber von allein kämen, wenn Heilmittelberufe besser bezahlt und aufgewertet werden würden, oder ob in Ermangelung männlicher Rollenvorbilder nicht doch auch eine gezielte Männerförderung und -ansprache sinnvoll wäre, ist indes strittig.

Dabei lohnt auch hier ein Blick auf die männerdominierten Branchen, in denen man schon lange und mit Erfolg weibliche Zielgruppen anspricht. So haben die zahlreichen MINT-Aktivitäten – MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – dazu geführt, dass sich die Zahl der weiblichen Studienanfänger:innen in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt hat. Das wäre in Bezug auf Logopäden sowie Ergo- und Physiotherapeuten doch schon mal ein guter Anfang.

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