Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung: Was folgt aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes?

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Arbeitszeit grundsätzlich erfasst werden muss. Dr. Dr. Thomas Ruppel gibt einen Überblick was jetzt zu tun ist.

Therapeutin arbeitet auf Ihrem Tablet

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 13. September 2022, Az. 1 ABR 22/21), wonach für Mitarbeitende die Arbeitszeit zu erfassen ist, schlug im letzten Jahr hohe Wellen. Auch im Jahr 2023 sind noch viele Praxen unsicher, welche Auswirkung diese Entscheidung hat und wie die Anforderungen der Erfurter Richter umzusetzen sind. Hilfreiche Tipps gibt Rechtsanwalt & Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Dr. Thomas Ruppel:

Der Hintergrund:

Bereits nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2019 waren Arbeitgeber:innen zur  Arbeitszeiterfassung ihrer Mitarbeitenden verpflichtet. Der deutsche Gesetzgeber sah indes keine Pflicht, diese Anforderungen in nationales Recht umzusetzen. Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr klargestellt, dass diese Regelungen bereits unmittelbar in Deutschland gelten. Vermutlich wird es also noch in diesem Jahr eine nationale gesetzliche Regelung geben, bis dahin sind die Anforderungen an die Arbeitszeiterfassung aus den beiden Gerichtsurteilen abzuleiten.

Der Inhalt der Entscheidung: Arbeitszeit muss erfasst werden

Aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes und der zugrunde liegenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes lässt sich ableiten, dass die Arbeitszeiterfassung in einem objektiven, verlässlichen und zugänglichen System zu erfolgen habe. Die geleistete tägliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmenden ist zu erfassen. Wichtig ist dabei, dass nicht nur die Dauer der täglichen Arbeitszeit, sondern auch ihr Beginn und ihr Ende festgestellt werden können muss. Es reicht dabei nicht aus, dass Sie als Arbeitgeber:in ein Arbeitszeiterfassungssystem zur Verfügung stellen, sondern es besteht auch eine aktive Nutzungspflicht für Ihre Mitarbeiter:innen.

Wie kann ich eine Arbeitszeiterfassung umsetzen?

Es gibt keine Vorgaben, ob die Zeiterfassung elektronisch oder in papiergebundener Form erfolgen muss. Elektronische Systeme sind sicherlich von Vorteil, da sie besser auswertbar sind: Denn Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes war es nicht, zu kontrollieren ob Mitarbeitende zu wenig arbeiten. Vielmehr dient die Arbeitszeiterfassung dem  Arbeitsschutz, insbesondere der Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Wollen Sie als Arbeitgeber:in hierzu bei all Ihren Arbeitnehmer:innen in der Lage sein, ist eine papiergebundene Erfassung sicherlich wenig hilfreich.

Excel-Tabellen und Word-Dokumente werden wenig hilfreich sein, weil hier die Manipulationssicherheit nicht gewährleistet werden kann. So müssen auch nachträgliche Veränderungen, etwa weil Mitarbeiter sich vergessen haben ein- oder auszuloggen, nachvollziehbar sein.

Gerade wenn die tägliche Arbeit mit einem Hausbesuch beginnt oder endet, bieten sich sicherlich softwarebasierte Lösungen an. Sollen neben der reinen Arbeitszeit auch mögliche Minusstunden oder Überstunden erfasst werden, steigen die Anforderungen an die einzusetzende Technik noch einmal, weil dann ja auch Urlaubstage (ggf. aus dem Vorjahr), Fortbildungen usw. einzubeziehen sind. Bestenfalls kann auch Ihre Praxisverwaltungssoftware all dies abbilden, in Optica Viva ist dies beispielsweise möglich.

Arbeitszeit ist mehr als die Zeit an Patient:innen

Klar ist, dass nicht nur die Zeit an Ihren Patient:innen Arbeitszeit ist. Es wäre daher keinesfalls ausreichend, die Zahl der durchgeführten Therapiestunden eines Mitarbeitenden zu erfassen und aus dem Praxiskalender abzugleichen und damit die Arbeitszeit und deren Lage am Tag erfassen zu wollen. Auch ist nicht jede Wartezeit zwischen zwei Therapieeinheiten gleich eine Pause. Zudem zählen natürlich auch An- und Abfahrt zu Hausbesuchen, oder ausgefallene Therapieeinheiten zur Arbeitszeit - es sei denn, dass Arbeitszeitkonten vereinbart wurden, an die noch höhere Dokumentationsanforderungen gestellt werden.

Welche Ausnahmen gelten bei der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

Nicht von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind die Praxisinhaber:innen, egal ob es sich um eine Einzelpraxis, eine Gemeinschaftspraxis oder eine Heilmittel-GmbH handelt, sofern diese genügend Anteile und Einfluss haben, um als Unternehmer:in zu gelten.

Noch nicht geklärt ist, ob leitende Angestellte von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausgenommen sind. Leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz solcher Mitarbeiter:innen, die zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Beschäftigten bevollmächtigt sind und/oder Generalvollmacht oder Prokura haben oder sonst wichtige Entscheidungen, die für den Bestand und die Entwicklung des Betriebes von Bedeutung sind, treffen können. Dabei kommt es - wie immer im Recht - nicht darauf an, was im Arbeitsvertrag steht, sondern wie dies praktisch gelebt wird: Es wäre also nicht ausreichend um der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung zu entgehen, einfach jede:n fachliche:n Leiter:in oder jede:n Therapeut:in zum "leitenden Angestellten" zu deklarieren, wenn er oder sie gar nicht die eben genannten Kompetenzen hat.

Was sind die Folgen bei Verstößen gegen die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

Bußgelder sind bei Verstößen eher unwahrscheinlich, da Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz gem. § 25 ArbSchG nicht mittelbar bußgeldbewehrt sind, sondern es zunächst einer vollziehbaren Anordnung der zuständigen Behörde bedarf, gegen die dann verstoßen werden müsste. Aber gerade in arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen mit Mitarbeiter:innen, etwa um die Auszahlung von vermeintlichen Überstunden, dürfte ein möglicher Verstoß des Arbeitgebenden gegen die dargestellten Pflichten zur Arbeitszeiterfassung relevant werden.
 


Dr. Dr. Thomas Ruppel und sein Team beraten Heilmittelerbringer in allen rechtlichen Fragen. Die Rechtsanwaltskanzlei Dr. jur. Dr. rer. med. Ruppel erreichen Sie per Mail oder Telefon: 0451 29366-500.

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