Gamification: Auf zum nächsten Level

Digitale Therapiehelfer setzen auf die motivierende Wirkung von Spielen. Die Einsatzgebiete sind vielfältig.

Senior im Rollstuhl und mit Virtual Reality Brille

Vom Behandlungszimmer geht es direkt ins Weltall: Mit Hilfe von Datenbrillen tauchen Patient:innen in die virtuellen Welten ein, die Gamedesigner des Düsseldorfer Start-ups Cureosity kreiert haben. Im Weltraumspiel etwa finden sich die Nutzer auf einem Planeten wieder und sollen heranrasende Meteoriten mit den Händen einfangen. Dafür gibt es jedes Mal einen Punkt im Spiel – und in der realen Welt schreitet die Rehabilitation ein Stückchen voran: „Patienten trainieren spielerisch ihre motorischen Fähigkeiten fernab des klinischen Settings“, sagt Cureosity-Gründer Thomas Saur.

Inzwischen 36 verschiedene Spiele für Virtual-Reality-Brillen hat das 2018 gegründete Start-up interdisziplinär zusammen mit klinischen Partnern entwickelt. Profitieren sollen unter anderem Patient:innen mit schlaganfallbedingten Lähmungen, neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder auch Menschen, die nach einem operativen Eingriff zu alter Beweglichkeit kommen wollen. Eine VR-Umgebung sei als Medium besonders geeignet, weil man in der Therapie mehrere Sinne ansprechen könne, sagt Saur. Die Spiele selbst wiederum sorgten dafür, dass die vormals lästigen Übungen plötzlich Spaß machten.

Spiele für verschiedene Fachgebiete

Mit seinem Ansatz zielt das Düsseldorfer Unternehmen vor allem auf die Physio- und Ergotherapie. Doch auch bei anderen Heilmittelerbringer:innen kommen digitale Spiele zum Einsatz. Ein Anbieter entsprechender Apps für die Logopädie ist das Münchener Start-up Limedix, das unter dem Markennamen neolexon bekannt ist. Gamification – also die Integration spielerischer Elemente – sei keine ganz neue Idee, sagt Mitgründerin Mona Späth: „Bei Kindern arbeitet man zum Beispiel schon lange mit Memory-Karten.“ Doch das analoge Therapiematerial sei nur begrenzt an die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen anpassbar und könne zu Hause nur mit Hilfe eines Dritten genutzt werden.

Zwei Apps hat Neolexon bisher entwickelt. Die eine richtet sich an Kinder mit Ausspracheproblemen und ist tatsächlich wie ein Computerspiel aufgebaut. Die andere soll Menschen helfen, die nach einer Hirnschädigung unter Sprachstörungen leiden (Aphasie). Diese App ist nüchterner gestaltet, arbeitet aber ebenfalls mit spielerischen Elementen. Beide Anwendungen können von den Therapeut:innen eingestellt und dann entweder in der Therapiestunde oder zu Hause genutzt werden. „Entscheidend für den Therapieerfolg ist es, regelmäßig zu üben“, sagt Sprachtherapeutin Späth.

Dass Spiele-Elemente oft eine motivierende Wirkung haben, ist unbestritten. Zahlreiche Lern-, Sport- und Produktivitätsapp wollen die Nutzer mit Level-Aufstiegen, virtuellen Trophäen und Ranglisten begeistern. Die positiven Wirkungen bei Therapie und Reha hat ein Team der Universität Düsseldorf in einer 2018 veröffentlichten Literaturrecherche zusammengetragen. Die untersuchten Studien stellten fest, dass Gamification in der Regel die Motivation der Patient:innen steigert und zu besseren oder schnelleren Ergebnissen führt.

Sowohl Cureosity als auch neolexon legen Wert darauf, die jeweils richtigen Gamification-Elemente je nach Nutzergruppe zu finden. So geht es nur bei einem Teil der von Cureosity entwickelten Spiele darum, Punkte zu sammeln oder Herausforderungen zu schaffen. „Kompetitive Anreize funktionieren zum Beispiel in der Sportreha sehr gut“, sagt Firmenchef Saur. „Menschen mit Demenz würde das aber stressen.“ Manche der Spiele hätten deswegen einen entspannenden Charakter. Neolexon hat in der Aphasie-App viel mit verschiedenen Gamification-Mitteln experimentiert – und einiges wieder gestrichen. „Wir haben festgestellt, dass sich Menschen mit Aphasie durch zu viele Spiele-Elemente zu stark abgelenkt fühlen“, erklärt Gründerin Späth.

Anbieter ringen um die Kostenerstattung

Cureosity und neolexon gehören zu den wenigen digitalen Therapiehelfern, die als Medizinprodukte zertifiziert sind. Bei neolexon werden die Kosten meist übernommen: Im Fall der Artikulations-App für Kinder hat das Unternehmen Direktverträge mit zahlreichen Krankenkassen abgeschlossen. Die Aphasie-App kann als digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) verschrieben werden. Allerdings ist die Listung im DiGA-Verzeichnis noch vorläufig. Aktuell sucht neolexon Probanden für eine klinische Studie, um eine dauerhafte Kostenerstattung durch die gesetzlichen Kassen zu ermöglichen.

Die Kosten für das VR-System von Cureosity werden dagegen aktuell noch nicht von den Krankenkassen übernommen. Zum Einsatz kommen die Spiele bisher in mehr als 70 Kliniken und Praxen, die dafür selbst bezahlen. Nach Einschätzung von Thomas Saur lohnt sich das auch wirtschaftlich: „Wir entlasten damit Ergo- und Physiotherapeuten – Berufsgruppen, bei denen Krankheits- und Burnout-Raten sehr hoch sind.“ Die VR-Anwendungen seien zudem beim Ringen um Nachwuchskräfte hilfreich: „Der Beruf wird damit ein bisschen cooler.“

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