Mehrgenerationen-Teams: Gut gemischt

Diversität im Team – auch in Bezug auf das Alter – kann eine große Bereicherung sein. Konfliktfrei bleibt eine solche Zusammenarbeit aber meistens nicht.

Älterer Herr und zwei Frauen machen mittagspause auf der Terasse

Matthias Mertens ist sauer. Der 61-jährige Physiotherapeut hatte über Jahrzehnte hinweg einen herausragenden Ruf. Patient:innen wollten unbedingt zu ihm, weil sie sagten, er habe „Zauberhände“, die die Schmerzen einfach so wegmassierten. Mertens versteht sich im Wortsinne als „Handwerker“. Seine Ausbildung zum Krankengymnasten machte er in den späten 1970-er Jahren – zu einer Zeit, als in der Bundesrepublik noch niemand von Physiotherapie sprach oder gar auf die Idee gekommen wäre, dass man dies vielleicht auch studieren könnte.

Dass Mertens sauer ist, hat mit dem zuletzt stark verschlechterten Betriebsklima in der Praxis zu tun, in der er seit mehr als 30 Jahren arbeitet. Und weil es nicht noch schlimmer werden soll, hat er darum gebeten, hier nicht mit seinem richtigen Namen genannt zu werden. „Die würden sich doch nur wieder das Maul über mich zerreißen“, sagt er und schimpft danach über die „Grünschnäbel“, die – mit dem Bachelorabschluss frisch in der Tasche – ihm jetzt erzählen wollten, wie er seinen Job zu machen habe. Anfangs seien sie ja in der Minderheit gewesen, doch heute fühlt sich Mertens auf verlorenen Posten: Fast alle in der Praxis sind inzwischen jünger als er, die neue Praktikantin ist so alt wie sein Enkel.

In der Betriebswirtschaft spricht man in solchen Fällen von Mehrgenerationen-Teams. Und wie jede Form von Diversität im Team wird sie grundsätzlich sehr positiv gesehen, ohne die damit verbundenen Herausforderungen verschweigen zu wollen. Denn wie immer, wenn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen, Werten und Bedürfnissen zusammenkommen, kann es dabei auch gehörig knirschen. Und es ist nicht nur Aufgabe des Teams, sondern vor allem der Teamleitung, sich diesen Herausforderungen zu stellen und dafür zu sorgen, dass die unterschiedlichen Energien in gute Bahnen gelenkt werden. Zu wissen und zu verstehen, welche diversen Erwartungen, Ansprüche, Arbeitsstile und Zielsetzungen die verschiedenen Generationen in Bezug auf ihr Arbeitsleben haben, ist wesentlich, um Mehrgenerationen-Teams erfolgreich zu führen. Denn jede Generation ist anders. Sie streng nach Jahrgängen zu definieren, ist selbstverständlich schwierig, weil nicht alle Menschen einer Generation gleich und die Übergänge fließend sind. Und doch existiert eine sogenannte Intergenerationsdifferenz. Darunter verstehen Fachleute die Differenz, die Altersgruppen in ihren unterschiedlichen Werten, Umgangsformen und Zielen erkennbar trennt. Diese Differenz führt zu andersgearteten Sichtweisen auf die Welt, sich selbst, die Erwartungen an ein gutes Leben – und damit auch an die Arbeit, die schließlich einen großen Teil der Lebenszeit einnimmt.

Unterteilt werden diese Generationen heute in die sogenannten Babyboomer, die Generation X, die Nachfolgegeneration Y und schließlich die noch jüngere Generation Z. Alle vier Altersgruppen bringen nicht nur ganz verschiedene Kompetenzen und Fähigkeiten in Mehrgenerationen-Teams ein, sondern unterscheiden sich grundlegend darin, was sie von Arbeit und Teamleitung erwarten (siehe Info-Block unten).

Deutlich wird bei einer solchen Differenzierung auch, dass es in einem Mehrgenerationen-Team um weit mehr geht als nur um „Jung und Alt“. Denn genauso wie sich die Älteren – Babyboomer und Generation X – stark unterscheiden, gilt dies für die Jüngeren: „Auf den ersten Blick wirken die äußeren Bedingungen, die die Generationen Y und Z geprägt haben, miteinander vergleichbar“, erklärt Prof. Dr. Susanne Böhlich von der Internationalen Hochschule Erfurt, die über die Generationenunterschiede in der Arbeitswelt geforscht hat. Zum Beispiel sei bei beiden Generationen der Erziehungsstil der Helikopter-Eltern ausgeprägt und beide seien als „Digital Natives“ permanent in sozialen Netzwerken unterwegs. Doch es gäbe auch deutliche Unterschiede. „Die Generation Z hat erlebt, dass sich die Träume der Vorgänger von Sinnhaftigkeit, Abwechslung und Selbstverwirklichung im Arbeitsleben nicht erfüllt haben. Sie ist auf dem harten Boden der Realität angekommen“, bringt es Böhlich auf den Punkt. In ihrer Studie schreibt sie, aber auch, die Generation Z passe oft in  eine Kategorie und zeige widersprüchliches Verhalten.

"Altersgemischte Teams führen - bei allen Vorteilen - auch immer wieder zu Konflikten. Oft mangelt es an Respekt und Wertschätzung, ohne die eine Zusammenarbeit nicht funktionieren kann."

Anke Günther, Praxisinhaberin aus Hamburg

Aber wie bringt man dann alles unter einen Hut? Wie erreicht man, dass jede:r im Team die eigenen Stärken ausspielen und gewinnbringend einbringen kann? Als wichtigster Punkt ist hier die Entwicklung einer offenen, „gesunden“ Kommunikationskultur in der Praxis zu nennen. Denn ein gemeinsamer Austausch mit festen Regeln kann den wertschätzenden Umgang zwischen den Mitarbeiter:innen fördern. Alle Seiten müssen zum Beispiel lernen, dass die jahrelange Erfahrung mit Patient:innen ebenso wichtig ist wie die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse an den Hochschulen – und dass nur eine Kombination von beidem die jeweilige Praxis tatsächlich weiterbringen kann. Genauso wie beide Seiten lernen müssen, dass die eigenen Werte, Bedürfnisse und Ansprüche nicht wichtiger oder wahrhaftiger sind als die der anderen – und dass auch hier der Blick über den eigenen Tellerrand durchaus bereichernd sein kann.

Ebenso wichtig sind jedoch gemeinsame Praxisleitlinien. Sie geben den Rahmen vor, innerhalb dessen sich die unterschiedlichen Mitarbeiter:innen bewegen und entfalten können. Dieser Rahmen sollte kein Korsett sein, aber eben auch nicht dem Motto „anything goes“ folgen. Denn wenn alle machen können, was sie wollen, wird aus dem Mit- schnell ein Nebeneinander –das auch wieder zu einem Gegeneinander werden könnte.

Noch einmal zurück zu Matthias Mertens: Gefragt, ob er denn die jungen Kolleg:innen ausschließlich kritisch sehen würde, überlegt er kurz und schüttelt dann den Kopf. Der eine oder die andere würde ihn schon hin und wieder auch um Rat fragen. Und auch er lernt dazu: So hätte er anfangs die ganze Digitalisierung für „unnützen Quatsch“ gehalten, inzwischen habe er sich jedoch nicht nur daran gewöhnt, sondern wollte sie auch nicht mehr missen. „Wenn ich ehrlich bin, hätte ich das wohl nie hingekriegt, wenn mir die Jugend nicht dabei geholfen hätte.


Wie Generationen ticken

Menschen sollte man nicht in Schubladen stecken. Eine Typologisierung der Generationen kann jedoch helfen, sie besser zu verstehen.

Die Baby Boomer – Leben, um zu arbeiten

*1955 – 1965

Der Babyboom vom Wirtschaftswunder bis zum „Pillenknick“ gibt den Ältesten im Team ihren Namen. In Familie, Schule und Ausbildung herrschten strenge Hierarchien. Gleichzeitig wurde diese Generation geprägt vom Streben nach Aufstieg, Besitz und Prestige. Viele Babyboomer sind freiwillige Workaholics, die sich über Auszeichnungen, Verdienst und Status definieren. Von ihrem Arbeitsplatz erwarten sie Sicherheit und klar geregelte Verantwortlichkeiten. Sie sind teamorientiert und fügen sich gut in Hierarchien ein

Die Generation X – Arbeiten, um zu leben

*1965 – 1979

In Kindheit und Jugend der sogenannten Generation X veränderten sich klassische Familien- und Gesellschaftsstrukturen; die 68er-Bewegung brachte den Trend zu Freiheit und Selbstbestimmung. Die Generation wuchs in Frieden und Wohlstand auf, sie ist gut ausgebildet, zeigt sich ambitioniert und ehrgeizig. Doch gleichzeitig definiert sie sich nicht vor allem über Arbeit. Eine hohe Lebensqualität bei angemessener Work-Life-Balance wird für sie immer wichtiger. Als Generation unabhängiger Individualisten erwartet sie Freiräume in der Arbeitsgestaltung. Ihre Angehörigen sind eher antiautoritär und wünschen sich flache Hierarchien.

Die Generation Y – Arbeiten, um sich zu verwirklichen

*1980 – 1994

Die Generation Y wurde teilweise überfürsorglich erzogen. Geprägt haben sie gesellschaftliche Megatrends wie Migration, Gleichstellung, globale Vernetzung. Als erste Generation sind sie „Digital Natives“, also mit der Digitalisierung groß geworden. Angehörige dieser Generation wollen sich im Job persönlich einbringen und streben nach Selbstverwirklichung. Sie fordern Teilhabe und Mitbestimmung, persönliche Entwicklung ist ihnen wichtiger als Aufstieg. Außerdem mögen sie keine starren, hierarchischen Strukturen und schätzen stattdessen eine familiäre, vertraute Atmosphäre sowie Team-Spirit.

Die Generation Z – Trennung von Arbeit und Leben

*ab etwa 1995

Die Generation Z hat beim Aufwachsen globale Gefahren wie Klimawandel und Terror erlebt. Das hat zu einem starken Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität geführt. Der Job soll auch zu den persönlichen Werten passen. Selbstverwirklichung sucht diese Generation aber nicht im Arbeitsleben. Von ihrem Arbeitsplatz erwartet sie darum vor allem eine klare Trennung von Arbeits- und Berufsleben sowie verbindliche Freizeit-Regelungen. Vertreterinnen und Vertreter der Generation Z wünschen sich Kollegialität, Toleranz und Wertschätzung, brauchen aber keine freundschaftliche oder gar familiäre Atmosphäre. Sinnvolle Hierarchien akzeptieren sie gut.

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