Gesundheitskompetenz: Kommunikation für den gemeinsamen Therapieerfolg

Der 90-jährige Peter M. erlebte bei seinem Physiotherapeuten in Ulm ein wahres Auf und Ab. Monate nach einem Oberschenkelhalsbruch mit anschließender Hüft-OP plagten ihn noch immer heftige Schmerzen. Vom Oberschenkel bis zum Steiß tat es weh, und die Beine waren seit der OP immer leicht geschwollen. Der Physiotherapeut behandelte ihn unter anderem mit MLD und führte diese Behandlung sehr kraftvoll aus. Kurz danach war Peter begeistert, denn die Schmerzen schienen deutlich gelindert und die Beweglichkeit hatte sich gebessert. Doch am nächsten Tag schmerzten die Beine umso mehr, und Peter war drauf und dran, die Physiotherapie sein zu lassen: „Das bringt doch nichts, außer noch mehr Schmerzen“, war sein Fazit.
„Genau das ist ein Beispiel dafür, wie es nicht sein sollte“, sagt Tobias Erhardt, Professor für Therapiewissenschaften mit Schwerpunkt Physiotherapie an der SRH University of Applied Sciences Heidelberg. „Es ist sehr wichtig, dass der Therapeut dem Patienten erläutert, welche Reaktionen entstehen könnten und wie diese einzuordnen sind. Der Physiotherapeut hätte den Patienten darauf hinweisen sollen, dass er am nächsten Tag Schmerzen spüren könnte und dass diese ein gutes Zeichen sind.“
Erhardt, der den ausbildungsintegrierenden Studiengang Physiotherapie an der SRH leitet, macht sich für die Gesundheitserziehung stark. Für ihn hat die Gesundheitskompetenz von Patient:innen für den Therapieerfolg entscheidende Bedeutung, und das aus gleich mehreren Gründen: „Mit guter Kommunikation betreiben Therapeut:innen Erwartungsmanagement und weisen schon im Vorfeld auf die positiven Effekte – und die Nebeneffekte – hin, die sich einstellen können.“ Das kann auch dazu beitragen, einen Abbruch der Therapie zu verhindern. Gute Erklärungen erhöhen die Gesundheitskompetenz der Patient:innen und bilden die Grundlage für eine wirksame Kommunikation zwischen ihnen und den Therapeut:innen. „Wenn miteinander gesprochen wird, geben sich beide Seiten auch immer wieder ein Update. So können Hindernisse ausgeräumt werden, die der Therapie im Wege stehen“, sagt Erhardt.
Patient:innen, die aktiv in die Behandlung einbezogen werden, zeigen mehr Eigeninitiative und sind therapietreuer. „Die Zeit der Therapie von oben, also des paternalistischen Prinzips der Behandlung, ist definitiv vorbei. Wenn den Patient:innen alles gut erklärt wird, sind sie auch eher in der Lage, die Interventionen besser und genauer auszuführen“, erläutert Erhardt. Ein zentraler Punkt ist für ihn zudem die erhöhte Selbstwirksamkeit. Es müsse das Vertrauen in die eigene Fähigkeit geweckt werden, etwas zur Verbesserung der Gesundheit beizutragen: „Wer seine Probleme und die Therapie besser versteht, kann auch im Alltag durch eigenes Handeln seine Symptome lindern.“
Fünf Tipps für bessere Kommunikation zwischen Patient:in und Therapeut:in
„Die Hälfte des Therapieerfolgs ist Kommunikation“, fasst Erhardt zusammen. Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt der Professor für Physiotherapie in fünf kurzen Tipps:
- Klar und verständlich sprechen: Auf Fachjargon verzichten und medizinische Begriffe in einfacher Sprache erklären. Anschauliche Beispiele helfen beim Verständnis für die Maßnahmen.
- Aktiv zuhören: Aufmerksam zuhören und gezielt nachfragen hilft, Missverständnisse oder Unsicherheiten der Patient:innen frühzeitig zu erkennen und zu beheben.
- Visualisierung einsetzen: Mit Modellen oder Bildern lassen sich Anatomie und Übungen veranschaulichen. Dies fördert das Verständnis, und die Inhalte bleiben besser im Gedächtnis.
- Ziele gemeinsam festlegen: Patient:innen sollten in die Zielsetzung einbezogen werden. Wer mitbestimmt, fühlt sich ernst genommen, übernimmt Verantwortung und bleibt motiviert.
- Angehörige einbinden: Wenn möglich, sollten nahestehende Personen einbezogen werden, besonders bei älteren oder unterstützungsbedürftigen Patient:innen. Die Angehörigen können die Informationen zur Therapie immer wieder erläutern.
„Das ist aber noch nicht alles“, sagt Tobias Erhardt. „Gute Kommunikation zwischen Patient:innen und Therapeut:innen stärkt nicht nur den therapeutischen Erfolg, sondern hat auch konkrete Vorteile für die Praxen.“ Die Zeit und Mühe, die während der Behandlung in Verständlichkeit und Vertrauen investiert wird, verbessert neben der Versorgungsqualität auch die Organisation und Wirtschaftlichkeit der Praxis. „Eine präzise Anamnese sowie gute Erklärungen der Maßnahmen und Übungen verringern den Zeitaufwand für Nachbetreuung und Korrekturbedarf.“
Diese Zeitinvestition zu Beginn spare langfristig Ressourcen. Und eines dürfe auch nicht vergessen werden, so Erhardt: Die Zufriedenheit der Patient:innen ist das Kapital für dauerhaften Erfolg. „Eine Praxis, die professionell kommuniziert, wird von den Patient:innen als hochwertig wahrgenommen und weiterempfohlen. Das schafft einen Ruf als Qualitätsanbieter und wirkt sich auch wirtschaftlich aus – bei der Bindung und der Neugewinnung von Patient:innen.“ Ein besseres Verständnis der Patient:innen für die Therapie und ihr Gefühl, gut informiert zu werden, entlasten das Praxisteam und machen die Praxis zu einer gerne weiterempfohlenen Adresse – ein klarer Wettbewerbsvorteil.

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