Wie innovative Behandlungsmethoden die Zusammenarbeit von Therapeut:innen und Patient:innen verändern

Innovative Behandlungsmethoden verschiedenster Art tragen dazu bei, die therapeutische Arbeit zu vereinfachen und die Ergebnisse zu verbessern. Mitarbeit und Selbstkontrolle der Patient:innen sind dabei Erfolgsfaktoren.

Optica Wissenswert: Patient mit Exoskelett auf Laufband

Andrea Schmidt weiß nicht mehr so genau, wovor sie mehr Respekt hatte: vor der Operation selbst oder vor der Angst, nicht mehr richtig gehen zu können. Nach jahrelangen Knieproblemen hatte sie sich zu einem Eingriff entschlossen. Die verlief zwar gut, aber ihre Beweglichkeit blieb zunächst eingeschränkt. Das lag vor allem daran, dass sie nicht so viel trainierte, wie sie sollte. Erst als sie in der Reha „Virtual Reality“ ausprobieren konnte, änderte sich das. Mit einer VR-Brille vor den Augen tauchte sie in eine virtuelle Umgebung ein, in der sie spielerisch zu ihren Übungen animiert wurde.

Für viele Praxen und Patient:innen ist der Einsatz von VR-gestützter Therapie sicherlich noch Zukunftsmusik. Aber das Beispiel zeigt anschaulich, welche Weiterentwicklungen möglich sind. Für Jörn Kiselev, Professor für Physiotherapie an der Hochschule Fulda, hat das Thema jedenfalls schon jetzt eine hohe Relevanz für die Physiotherapie. „Es ist sicher, dass VR-Anwendungen in der Therapie funktionieren.“ Beispiel Schlaganfall: Hier eignet sich die VR-Therapie besonders gut, um etwa Gleichgewicht und Motorik wiederherzustellen, „denn das Eintauchen in eine spielerische virtuelle Realität macht Spaß, und wer Spaß hat, übt einfach mehr“, sagt Kiselev.

Virtual Reality als ideale Ergänzung in der Therapie

Davon können auch die Therapeut:innen und sogar das gesamte Gesundheitssystem profitieren - Stichwort Fachkräftemangel. Das zeigt ein weiteres Beispiel: VR kann auch beim „Neglect“ sinnvoll sein, wenn die Schlaganfall-Patient:innen ihre gelähmte Körperhälfte nicht mehr richtig wahrnehmen. „Es gibt zwar viele therapeutische Methoden und Techniken. Allerdings ist man darauf angewiesen, dass die Patient:innen bestimmte Bewegungsmuster so häufig wie möglich wiederholen“, erklärt Kiselev. Das könne ein einzelner Therapeut oder eine einzelne Therapeutin nicht abdecken, und hier sei VR die ideale Ergänzung.

Auf technische Unterstützung baut auch Bastian Krieg, der am SRH Klinikum in Karlsbad-Langensteinbach ein etwa 70-köpfiges Therapeut:innen-Team stellvertretend leitet. Das Klinikum ist unter anderem spezialisiert auf die Behandlung von Patient:innen in der Neurologischen Frührehabilitation. Hier, wenige Kilometer südöstlich von Karlsruhe, setzt man in der Physio- und Ergotherapie auf Robotik, zum Beispiel bei der Gangrehabilitation. „Unser Gangroboter ‚Lokomat‘ erleichtert die Arbeit enorm. Früher brauchten wir für die gleichen Übungen zwei oder drei kräftige Therapeut:innen. Die körperlich schwere Arbeit übernimmt der Lokomat“, erläutert Krieg. Die Patient:innen befinden sich in einem Gurtsystem, durch das sie eine Gewichtsentlastung erfahren. Zusätzlich werden die Beine in ein individuell einstellbares Exoskelett geschnallt, das den Bewegungsablauf übernimmt. Geschwindigkeit, Belastung und Grad der Roboterunterstützung können individuell eingestellt werden. „Auf einem Bildschirm können unsere Patient:innen mit Spielen gezielt bestimmte Muskelgruppen trainieren. Die Herausforderung und die Motivation helfen dabei.“

Auch die Ergotherapie, etwa bei der Neglect-Therapie oder der Verbesserung der Armbeweglichkeit, profitiert von der Robotik. „Gerade in der Neurologie funktioniert das motorische Lernen über viele Wiederholungen, bis sich das Gehirn anpasst und Bewegungsabläufe abspeichert“, erläutert Bastian Krieg. „Auch dabei hilft eine unterstützende Maschine ungemein.“ Allerdings dürfe man nie vergessen, dass solche Geräte sehr funktional und hilfreich sind, aber nie die Arbeit mit den Therapeut:innen ersetzen können, mahnt Krieg.

KI-gestützte Sprechübungen unterstützen Logopäd:innen

Innovative Behandlungsmethoden werden auch für Logopäd:innen zunehmend interessant. Eine Machbarkeitsstudie zu Künstlicher Intelligenz (KI) in der logopädischen Routineversorgung hat kürzlich gezeigt, dass sich mithilfe von KI Versorgungslücken schließen lassen – Stichwort Fachkräftemangel. Ein interdisziplinäres Team der Hochschule für Gesundheit Bochum hatte in Zusammenarbeit mit Parkinson-Expert:innen des St. Josepf-Hospitals der Ruhr-Universität Bochum den Einsatz des KI-gestützten Assistenzsystems „Isi-Speech“ getestet. Von dem Tool, das 2.800 evidenzbasierte Übungen bereitstellt, konnten Patient:innen bereits während des Klinikaufenthalts und dann im Eigentraining zuhause profitieren. Fazit nach einem Jahr Studie: bessere Versorgung, hohe Akzeptanz bei Behandelnden und Behandelten gleichermaßen. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Wert des Tools für viele Parkinson-Patienten so hoch sein würde“, sagte Professor Lars Tönges, Leiter der Sektion Parkinsonerkrankungen und Bewegungsstörungen der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität.

Physiotherapie-App als hilfreiche Assistentin für Übungspläne

Eine weitere Innovation für Physiotherapeut:innen kommt vom Essener Anbieter Tinana. Jörg Sälzer, einer der Geschäftsführer, demonstriert einen der Vorteile der gleichnamigen kostenlosen App. Er hält ein Blatt mit gezeichneten Figuren hoch, die physiotherapeutische Übungen zeigen, und sagt: „Strichmännchen waren gestern. Wir haben einen Katalog mit rund 100 gängigen physiotherapeutischen Übungen in die App integriert. Auf dieser Basis können Therapeut:innen individuelle Übungspläne erstellen, die Patient:innen zuhause absolvieren und sich dabei zur Kontrolle die kurzen Videos anschauen“. Ein weiterer großer Unterschied zum Blatt mit den Strichmännchen: Die digitale Gesundheitsanwendung erinnert die Patient:innen daran, ihre Übungen zu machen, die sie dann digital bestätigen können. Auch Videobehandlungen sind mit der App möglich, ebenfalls kostenlos. Doch dabei soll es nicht bleiben. Unter anderem entwickelt Tinana derzeit eine Funktion, die Sälzer den „Physiotherapeuten für zu Hause“ nennt. Während der Übungen können sich Patient:innen zuhause vom Smartphone filmen lassen und die App korrigiert, was die Kamera sieht. Ein digitales „Skelett“, das über das eigene Bild gelegt wird, zeigt, wie die Übung richtig ausgeführt wird, zum Beispiel wenn der Arm in einem anderen Winkel geführt werden sollte. Möglich wird dies durch den Einsatz von KI.

Selbstkontrolle mit Sensoren

Auf die Mitarbeit und Selbstkontrolle der Patient:innen setzt auch der Einsatz von Sensoren: „Bereits ein Schrittzähler für 20 Euro kann für Patient:innen äußerst motivierend und hilfreich sein“, sagt der Fuldaer Physiotherapie-Professor Kiselev. Einerseits lässt sich damit die Leistung messen, um sie kontrolliert zu steigern. Andererseits können Patient:innen ein Nachlassen ihrer Leistungsfähigkeit feststellen. „Gerade für ältere Menschen ist diese Art der Selbstkontrolle sehr hilfreich, damit sie im Zweifelsfall rechtzeitig die ärztliche oder physiotherapeutische Praxis aufsuchen“.

Innovationen gibt es auch jenseits von Technologien und Geräten. Besonders zukunftsträchtige ist laut Kiselev die Prähabilitation. Hier beginnt die Behandlung bereits vor einem operativen Eingriff oder – bei Tumorpatient:innen – vor der Radio- oder Chemotherapie. „Ich kenne in Deutschland drei große Projekte des Innovationsfonds, die das erforschen. In einem Projekt an der Charité, an dem ich mitarbeite, geht es um die Vorbereitung von älteren, gebrechlichen Menschen auf eine Operation mit dem Ziel, Risikofaktoren zu reduzieren“, sagt er. Die Methoden der Prähabilitation stammen im Wesentlichen aus dem Werkzeugkasten der Physiotherapie: Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit fördern. Die Ergebnisse bisheriger Forschungsprojekte zur Prähabilitation zeigen, dass die Patient:innen nicht nur eher vollständig genesen, sondern auch mehr Lebensqualität und Autonomie zurückgewinnen. International werde dieser Ansatz oft schon recht konsequent umgesetzt, sagt Kiselev, in Deutschland gebe es bisher nur Modellprojekte und eben die Untersuchungen im Rahmen des Innovationsfonds. „Aber dieser Innovationsfonds ist ja ausdrücklich dafür gedacht, zu prüfen, ob eine Leistung in den Leistungskatalog aufgenommen werden soll. Aus meiner Sicht wird das nicht mehr lange dauern, und wir an der Hochschule Fulda lehren das auch schon.“

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