„Es muss nicht gleich ein Businessplan sein“

Wer ein Sanitätshaus neu gründet oder ein Bestehendes übernimmt, macht einen großen Schritt. Wer dabei nicht stolpern will, braucht einen guten Plan, der Digitalisierung, Marketing und Nachhaltigkeit berücksichtigt, sagt Sanitätshaus-Chef Alexander Tretin. Dabei darf die Präqualifizierung nicht vergessen werden.

Junger Mann im Auto schaut auf sein Tablet

Herr Tretin: Was ist aus Ihrer Sicht der beste, erste Schritt bei der Gründung oder der Übernahme eines Sanitätshauses? 

Am Anfang steht ein gut durchdachter Plan. Dabei ist zunächst einmal wichtig, sich selbst die entscheidenden Fragen zu stellen und die Antworten darauf zu finden. In welchem Umfeld befindet sich das Geschäft, gibt es beispielsweise Krankenhäuser oder Seniorenheime in der Nähe? Welche Zielgruppen wohnen und leben hier, Menschen mit eher niedrigen oder hohen Einkommen? Welche Produktkategorie bietet die höchsten Absatzchancen, was soll die eigene Kernkompetenz sein, Vollsortimenter oder Spezialist? Und – ganz wichtig: Wie stark etabliert ist die Konkurrenz vor Ort?

Meinen Sie mit Plan einen „Business Plan“?

Das Wort „Business Plan“ finde ich etwas hochtrabend. Es muss nicht gleich einer sein, der reif für die Präsentation bei der Bank ist. Zunächst müssen sich Gründer:innen hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gründung oder die Übernahme selbst prüfen. Neben den erwähnten konzeptionellen Fragen zählt dazu die viele Zeit, die das Vorhaben kosten wird, und natürlich das Geld, das investiert werden muss. Sind all diese Themen durchdacht und aufgeschrieben worden, ist man einen entscheidenden Schritt weiter auf dem Weg zu einer soliden, nachhaltigen Gründung. Meiner Erfahrung nach sind selbst Banken mit einem Konzept wie diesem oft bereits zufrieden und wollten gar nicht mehr sehen.

Wie wichtig ist für Gründer:innen das Thema „Digitalisierung“?

Das ist ein besonders wichtiger Aspekt, der sich wie ein roter Faden durch das Unternehmen ziehen muss. Da wäre zu allererst die digitale Prozesskette, in die Kund:innen eingebunden sind. Beim ersten Kontakt werden sie im System angelegt, und wenn sie dann beispielsweise für einen Kompressionsstrumpf vermessen wurden – ebenfalls digital – können wir den Strumpf direkt aus dem System heraus bestellen. Ist der Strumpf dann fertig, wird die Abholbenachrichtigung oft per Whatsapp verschickt. Außerdem können Mitarbeiter:innen sich mit digitalen Tools selbst verwalten, indem sie beispielsweise ihre Urlaube selbst eintragen und mit anderen abgleichen. 

Wie stehen Sie zum Sanitätshaus-Marketing mithilfe sozialer Medien?

Wenn wir daran denken, dass der Markt aufgrund der alternden Bevölkerung noch einige Jahrzehnte boomen wird, ist klar, dass auch soziale Medien eine immer größere Rolle im Sanitätshaus-Marketing spielen werden. Die nötigen Inhalte für Instagram oder Facebook zu erstellen, kann aber schon komplex sein, je nachdem, wie affin man selbst mit dem Thema ist. Auf die Wirkung kommt es an, und hier reicht die Bandbreite von total gestellt bis total authentisch. Andere Plattformen sind wichtig für die Anwerbung von neuen Talenten. Die Älteren erreicht man über LinkedIn oder Xing, die Auszubildenden vielleicht eher über TikTok.

Die Bürokratie spielt im Gesundheitswesen eine große Rolle. Beispiel: Präqualifizierung: Ist sie ein großes Hindernis?

Mit dieser Eignungsprüfung stellen Erbringer:innen von Hilfsmittelleistungen gegenüber den Krankenkassen ihre Fachkenntnis und Leistungsfähigkeit unter Beweis. Die Fachlichkeit wird üblicherweise mit einer Meisterqualifikation nachgewiesen, aber auch durch andere, gleichwertige Qualifikationen (lesenswert: das Optica-FAQ zur Präqualifizierung). Ohne sie können Sanitätshäuser nicht mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen. Das heißt, die Präqualifizierung ist in jedem Fall ein Thema, egal, ob das zukünftige Sanitätshaus eine Neugründung sein soll oder die Übernahme eines Bestehenden. Tatsächlich wird sie aber bei den vielen rechtlichen und finanziellen Fragen, die in der Planungsphase zu klären sind, gerne vergessen (interessant: das Interview zur Betriebsnachfolge). 

Ohne die Präqualifizierung geht es also nicht?

Etwa 90 Prozent aller Verordnungen werden über die gesetzliche Krankenversicherung abgerechnet, und das setzt eben eine erfolgreiche Präqualifizierung voraus. Bei einer Unternehmensnachfolge, also einer Betriebsübernahme, ist zu prüfen, ob und welche weiteren Eignungskriterien erfüllt werden müssen. Neubetriebe werden anders behandelt als ältere, die vom Bestandsschutz durch Ausnahmeregeln profitieren (siehe dazu den Beitrag Betriebsnachfolge und Präqualifizierung). Die Präqualifizierung für Betriebe mit mehreren Filialen gilt auch immer nur jeweils für eine Betriebsstätte.

Ist Nachhaltigkeit im Sinne von Ressourcen- und Umweltschutz auch ein Thema für Gründer:innen?

Auch hier haben Gründer:innen die Chance, von Anfang an die Weichen zu stellen – weniger, wenn ein bestehendes Gebäude übernommen und mehr, wenn das Sanitätshaus komplett neu gebaut wird. Beim Neubau lässt sich mit Dämmung, guter Verglasung, Fotovoltaik- und Solarthermie sowie moderner Heiztechnik wie Wärmepumpen langfristig viel Geld sparen, das ansonsten für den Wärme- und Strombedarf ausgegeben werden müsste. In unserer vierten Filiale, die wir neu gebaut haben, setzen wir schon vieles um. Wer diese Möglichkeit nicht hat, kann dennoch etwas tun, beispielsweise die Beleuchtung konsequent auf LED umstellen, Bewegungsmelder zur Lichtsteuerung installieren und die Heizkörper mit smarten Thermostaten ausrüsten.

Alexander Tretin ist einst ins väterliche Sanitätshaus in Dietzenbach eingestiegen, hat es nach und nach modernisiert und vergrößert. Im April 2023 wird er den vierten Standort im Südosten von Frankfurt am Main eröffnen.

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