„Wir müssen die Versorgung skalierbar machen“

BVMed-Vorstand Stefan Geiselbrechtinger im Gespräch mit Optica-Geschäftsführer Dr. Jochen Pfänder über Krisenfestigkeit, Digitalisierung und die Rolle der MedTech-Branche in der Versorgung.

Herr Geiselbrechtinger, wie beurteilen Sie die Krisenfestigkeit der medizinischen Versorgung in Deutschland?

Stefan Geiselbrechtinger: Unsere Versorgung ist auf Effizienz getrimmt. Viele Kliniken benötigen eine nahezu 100-prozentige Auslastung, um wirtschaftlich bestehen zu können. Das macht uns anfällig. Regionale Schadenslagen lassen sich durch Netzwerke noch abfangen, bei überregionalen Ereignissen oder im Bündnisfall stoßen wir jedoch an Grenzen.

Was kann Deutschland tun, um sich besser auf solche Szenarien vorzubereiten, und welche Rolle spielt die MedTech-Branche dabei?

Stefan Geiselbrechtinger: Wir brauchen skalierbare Prozesse, die nicht nur auf hoch qualifiziertes Personal setzen. In Krisenfällen muss auch fachfremdes Personal mithilfe digitaler Anleitung einspringen können. Ohne Produkte ist keine ärztliche Versorgung möglich. Deshalb müssen MedTech- Betriebe und Sanitätshäuser als systemrelevante Akteure anerkannt und eingebunden werden.

Dr. Jochen Pfänder: Viele Betriebe sind bereit, in Digitalisierung und Vorsorge zu investieren. Es fehlt aber oft an klaren rechtlichen Rahmenbedingungen und Anreizen. Wir brauchen
flexible Strukturen, die Innovation nicht durch starre Vorgaben ausbremsen. Dazu gehört auch, Leistungserbringer systematisch in Krisenpläne einzubeziehen und Investitionen in digitale Infrastruktur gezielt zu fördern.

„Was wir im Krisenfall brauchen, benötigen wir auch im Alltag einer alternden Gesellschaft: eine bessere Versorgung mit weniger Fachkräften.“

- Stefan Geiselbrechtinger, BVMed-Vorstand

Welche Bedeutung haben Sanitätshäuser und orthopädietechnische Betriebe im Krisenfall?

Stefan Geiselbrechtinger: Bei Verletzungen oder Amputationen sind sie für die Versorgung von entscheidender Bedeutung. Doch stationäre Strukturen stoßen schnell an ihre Grenzen. Wir brauchen deshalb mobile Werkstätten, wie sie in anderen medizinischen Bereichen bereits erprobt sind. Die Vorstellung, dass immer ein Meister vor Ort sein muss, ist überholt. In einem echten Krisenszenario funktioniert das nicht mehr.

Herr Dr. Pfänder, was können Betriebe selbst tun, um ihre Resilienz zu stärken und als systemrelevant sichtbarer zu werden?

Dr. Jochen Pfänder: Betriebe sollten sich kritisch prüfen: Wo lässt sich digitalisieren, wo automatisieren? Von der Dokumentation bis zur Abrechnung bieten viele Abläufe enormes Potenzial, und wer hier investiert, beispielsweise in eine moderne Branchensoftware, wird effizienter und krisenfester. Zudem hilft das aktive Engagement in Verbänden, um als systemrelevant wahrgenommen zu werden.

„Nötig sind gezielte Förderprogramme für digitale Infrastruktur, Schulungen und mobile Versorgungskonzepte, damit die Branche ihre Rolle voll ausfüllen kann.“

– Dr. Jochen Pfänder, Geschäftsführer Optica Abrechnungszentrum Dr. Güldener GmbH

Inwiefern hilft die Digitalisierung dabei, die Versorgungsaufgabe auch unter Krisenbedingungen zu erfüllen?

Stefan Geiselbrechtinger: Sie ist der Schlüssel. Mithilfe digitaler Tools, Augmented-Reality-Brillen oder Telecoachings können auch angelernte Kräfte die Versorgung übernehmen – angeleitet von Experten, die nicht vor Ort sein müssen. So können wir die Versorgung trotz des Fachkräftemangels aufrechterhalten und gleichzeitig jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schneller qualifizieren.

Wo sehen Sie politischen oder strukturellen Nachholbedarf, um die MedTech-Branche stärker in die Krisenvorsorge einzubinden?

Dr. Jochen Pfänder: Es fehlt an klaren politischen Strategien, die regeln, wie nichtärztliche Leistungserbringer in Krisenszenarien eingebunden werden sollen. Bürokratische Vorgaben, etwa bei der Präqualifizierung, verhindern flexible Lösungen. Nötig sind gezielte Förderprogramme für digitale Infrastruktur, Schulungen und mobile Versorgungskonzepte, damit die Branche ihre Rolle voll ausfüllen kann.

Sehen Sie die Diskussion über Resilienz und Digitalisierung eher als Belastung – oder als Chance?

Stefan Geiselbrechtinger: Für mich ist es ganz klar eine Chance. Was wir im Krisenfall brauchen, benötigen wir auch im Alltag einer alternden Gesellschaft: eine bessere Versorgung mit
weniger Fachkräften. Wer jetzt in digitale Strukturen investiert, sorgt für Sicherheit und bleibt zukunftsfähig.

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